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Torre di Valgrande - Carlesso (VI- A1, VIII+, 400 mH), Dolomiten 30.08.13
#1
„Zur Staatskulisse der großen Civettamauer über dem Alleghesee zählt natürlich auch dieser, runde Klotz des Torre di Valgrande. Er ist der drittletzte Trabant im Nordkamm des um 450 m höheren Hauptgipfels, aber seine Nordwestwandführe zählt durchaus legitim zur exklusiven Auswahl der extremen Dolomitenführen“

„Diese unwahrscheinlich gerade Führe durch Risse einer sonst völlig geschlossenen, lotrechten Wand sucht ihresgleichen, was die logische Linie betrifft.“

„Man ist für mindestens 5 bis 7 Stunden als gute Zweierseilschaft beschäftigt, genießt viel frische und reine Luft unter sich und denkt an die Erstbegeher: Raffaele Carlesso … und Mario Menti benötigten bei ihrer dreitägigen Erstbegehung im August 1936 allein für die 120-Meter-Verschneidung zwei Tage“


aus: Walter Pause – im extremen Fels.


„Dieser bedeutende Klassiker rangiert wohl in puncto Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad unter den Civetta-Touren ganz oben.“

„Um die Tour entsprechend einordnen zu können, muss unbedingt erwähnt werden, dass zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung, im Sommer 1936, am Torre di Valgrande lediglich der Normalweg existierte! …in der unermesslichen Nord-Westwand der Civetta…nur vier Touren: die Haupt, die Solleder, die Comici und die Andrich. Nichts weiter das war´s. Die erforderliche Kühnheit, um jener mächtigen, gelben Wand entgegenzutreten, fand Ausdruck in der unglaublichen Leistung Raffaele Carlessos.“


aus: Ivo Rabanser – Dolomiten: Routen und Erlebnisse


    Civetta – Nordwestwand, das „Königreich des sechsten Grades“
    Die unvergleichliche Turmgestalt des Torre di Valgrande in der linken Bildmitte

Von den Trabanten der großen Civetta nimmt der Torre di Valgrande auf jeden Fall eine Sonderstellung ein. Wenn man zum Beispiel von Arabba Richtung Alleghe mit dem Auto fährt werden die Blicke neben der Civetta unweigerlich auch von diesem beeindruckend schlanken, glatten und gelben Turm gefangen. Das hervorstechende Riss- und Verschneidungssystem in seiner Nordwestwand ist wirklich an logischer Linienführung kaum zu überbieten, wirkt wie mit dem Messer geschnitten und einfach magisch anziehend.

Diese Tour ist absolut lohnend, bietet überwiegend schöne Kletterei und guten Fels. Einen kleinen Abstrich stellt die Seillänge nach der Schlüsselseillänge dar, diese 4. SL ist teils brüchig und man klettert auf einigen Metern an etwas losen Schuppen links eines Wandausbruches. Dennoch dürfte diese von Raffaele Carlesso und Mario Menti 1936 erstbegangene Route wohl zu den schönsten Extremtouren in den Dolomiten zählen. Was dieser Raffaele Carlesso alles zu leisten im Stande war zeigt sich schon 2 Jahre zuvor als er 1934 mit seiner legendären
„Carlesso“ in der Torre Trieste Südwand
zusammen mit Bartolo Sandri einen Meilenstein legte. Leider sollten die beiden großen Seilpartner von Raffaele Carlesso, Bartolo Sandri und Mario Menti, zwei Jahre später, im Frühsommer 1938, bei einem Erstbegehungsversuch der Eiger Nordwand einen Monat vor der erfolgreichen Erstbegehung durch Heckmaier, Vörg, Kasparek und Harrer, ums Leben kommen.

Ein großes Thema an dieser Tour ist eine freie Begehung des großen Dachs in der 3. Seillänge und zwar seit der Erstbegehung, denn anscheinend hat Raffaele Carlesso einmal behauptet dies freigeklettert zu haben!!! Nun mag er ja ein wahnsinnig starker Kletterer und wilder Hund gewesen sein aber dies im Jahre 1936 freigeklettert zu haben dürfte doch sehr weit hergeholt sein. Selbst Ivo Rabanser zweifelt dies in seinem Führer offen an. Nun fragt man sich sicher, ja wie schwer ist den dieses besagt Dach? Ivo Rabanser schreibt in seinem Topo VIII- hat es aber selber auch nicht freiklettern können und schreibt von angeregten Schwierigkeitsdiskussionen in Alpinisten-Kreisen. Mein Seilpartner und Spitzen-Alpinkletterer Florian konnte nach einigen Anläufen (welche alle wieder sauber abgeklettert wurden) das Dach OnSight klettern und würde eine hart bewertete VIII+ vorschlagen!!! Florian hat es auf der vermeintlich einfachsten Möglichkeit total direkt durch die Risse überklettert. Ein etwas fraglicher Punkt sind zwei Haken etwa fünf Meter links des Daches. Ist das eine Freikletter-Möglichkeit, oder die im Pausebuch erwähnte Umgehung von Toni Hiebeler und Ulli Wyss aus dem Jahre 1952, anlässlich der 6. Begehung, welche nicht Schule machte???

Nachdem wir bereits drei Wochen zuvor an die Civetta wollten, dies aber wegen starker Niederschläge und zunächst schlechtem Wetter sein ließen und schlussendlich die
„Gogna“ in der Marmolada Südwand
kletterten, war es nun endlich soweit und es ging für zwei Tage und zwei Touren ins „Königreich des sechsten Grades“. Als Auftakt dieses Civetta-Wochenendes kletterten wir nach morgendlichem Zustieg von Pala Favera zunächst die „Carlesso“ am Torre di Valgrande. Nachdem ostseitigen Abstieg ging es über Coldai-Hütte und See wieder rüber unter die Wände und hoch zur Tissi-Hütte. Am nächsten Tag folgte dann mit der
„Solleder“ in der Civetta Nordwestwand
einer der ganz großen Megaklassiker der Alpingeschichte.

Tourenbericht:

Da wir erst mitten in der Nacht den großen Parkplatz Pala Favera (ca. 1500 m) erreichten starten wir am nächsten Morgen erst gegen 08:30 Uhr den Aufstieg in Richtung Coldai-Hütte (2132 m). Auch ohne Sesselliftunterstützung ist die Hütte nach 1h 20 min erreicht und mit meinerseits großen Erwartungen auf die Civetta Nordwestabstürze biegen wir um die Ecke. Kurz nach dem Coldai-See steht sie plötzlich da, die Wand der Wände. Ich muss sagen, ich war schwer beeindruckt von diesem für mich ersten direkten Blick in dieses Gemäuer. Zum ersten Mal stimmt allerdings so nicht ganz, denn als 2 jähriger war ich in der Kraxe auf Vaters Schultern auch schon mal hier…
Wink


    Coldai-Hütte (2132 m)
    Coldai-See
    langsam taucht sie auf…
    …die Wand der Wände

Die richtige Zustiegsrinne war schnell identifiziert und nach einem kurzen harten Altschneefeld erreicht. Je nach Jahreszeit und Schneelage kann die Rinne aber sicher steil, interessant und unangenehm werden. Bei uns war bis auf das letzte Stück alles schneefrei und dann meist II, Stellen III. Bevor das markante und mit Steinmännern markierte Band, welches waagrecht auf den eigentlichen Vorbau hinaus leitet, erreicht war galt es noch unter einem Schneefeld durchzukriechen und dahinter auf das Band abzusteigen.

    im Zustieg
    im Zustieg
    im Zustieg
    im Zustieg
    das markante Band von der Seite (von unten im Zustieg gesehen ist es viel markanter und eigentlich nicht zu verfehlen)

Auf dem eigentlichen Vorbau angekommen steht das Riss- und Verschneidungssytem der Tour beeindruckend vor einem. Umso näher man dem Einstieg kommt, umso mehr gilt es den Kopf in den Nacken zu legen um die Steilheit wahrnehmen zu können.

    umso näher man kommt…
    …umso beeindruckend steiler wir das Ganze
    Tiefblick auf Alleghe und seinen türkisen See

Alle weiteren Angaben zu den Seillängen und Schwierigkeiten beziehen sich auf das perfekte Topo von Ivo Rabanser:

Die 1. SL (IV, eine Stelle IV+, 25 m) befindet sich noch im grauen Wandteil und kann gut seilfrei geklettert werden. Genau am Übergang zwischen grauem und gelbem Fels ist nochmal ein bequemes Bändchen und die eigentliche Kletterei beginnt. Hier legen wir das Material an und gegen 11:45 Uhr starten wir mit Klettern. Zunächst folgt die leichtere 2. SL (V+, 25 m) bis in die große Gufel unter dem markanten großen Dach.

    2. SL (V+, 25 m)

Das große weitüberhängende Dach oberhalb der Gufel stellt die absolute Schlüsselstelle der Tour dar. Florian fasst die 2. und 3. Seillänge zusammen und konnte unglaublicher Weise das in der Einleitung schon thematisiert Dach OnSight klettern und würde eine hart bewertete VIII+ vorschlagen. Mal wieder eine wahnsinnige Leistung Florian – herzlichen Glückwunsch!!! Doch nach dem eigentlichen Dach ist die Seillänge noch lange nicht im Sack. Es folgt anhaltend anspruchsvolles VII er Gelände und das mit ordentlich dicken Armen.

    3. SL (VIII+?, oder A1, 25 m) – horizontal auf Gegendruck hat es nicht funktioniert
    3. SL (VIII+?, oder A1, 25 m) – weit ausspreizend dagegen schon
    3. SL (VIII+?, oder A1, 25 m) – das weitüberhängende Dach

Mit der 4. SL (VI+, VI-A0, 20 m) folgt ein kleiner Abstrich an Schönheit dieser Tour, denn diese SL ist teils brüchig und man klettert auf einigen Metern an etwas losen Schuppen links eines Wandausbruches. Der im Topo eingezeichnete Bohrhaken kurz vor den brüchigen Schuppen ist nicht mehr vorhanden.

    4. SL (VI+, VI-A0, 20 m)
    4. SL (VI+, VI-A0, 20 m) - der größere helle Ausbruchbereich ist gut zu erkennen
    4. SL (VI+, VI-A0, 20 m)

Die beiden im Topo erwähnten anstrengenden Engstellen in der 5. SL (VI+, 20 m) waren weniger dramatisch wie gedacht und es handelt sich eher um eine richtig geniale Dolomitenseillänge. Die Ausgesetztheit nimmt so langsam ihren Höhepunkt an und am Stand hängt man gefühlt gewaltig in der Luft.

    5. SL (VI+, 20 m)
    5. SL (VI+, 20 m)

In der folgenden 6. SL (VII-, oder A1, 25 m) folgt direkt am Übergang zwischen gelbem und grauem Fels der sogenannten „schwarze Überhang“ welcher die zweite Schlüsselstelle der Tour darstellt. Der Fels ist aber grandios und rau, einfach toll…

    6. SL (VII-, oder A1, 25 m)
    6. SL (VII-, oder A1, 25 m)

Auch in der folgenden 7. SL (V und IV, 45 m) bleibt der Fels exzellent und es ist Genusskletterei ersten Ranges.

    7. SL (V und IV, 45 m) – exzellenter Fels

Die letzten drei Seillängen (V+, V+ und IV) erfolgen am langen Seil und bieten einfach tolle Kletterei und selbst der Ausstiegskamin ist alles andere als gruselig. Nach 3 h 45 min haben wir gegen 15:30 Uhr den Ausstieg erreicht und eine geniale Tour liegt hinter uns.

    10. SL (IV) – Blick in den Ausstiegskamin
   

Den Gipfel können wir nicht auslassen und so geht es mit der sehr guten Beschreibung von Ivo Rabanser in ca. 15 min zum höchsten Punkt des Torre di Valgrande. Die Kamine dieses Gipfelaufstieges (2 Stellen IV) dürfen aber seilfrei und mit Zustiegsschuhen nicht unterschätzt werden. Oben stehen wir leider im Nebel und so geht es über die Kamine zügig abseilend (2x 25 m) wieder auf das Ausstiegsband der „Carlesso“.

    Gipfelaufstieg
    Gipfelaufstieg

Vom Band geht es im Zick-Zack hinunter in Richtung Scharte zwischen Torre di Valgrande und Torre d´Alleghe. Von einer sehr schlechten Abseilstelle (2 von unten nach oben geschlagenen Haken) seilt man sich in die tief eingeschnittene Scharte ab und klettert über eine Art abstehende Felsschuppe in die darunterliegende Schuttrinne. Mangels besserer Alternativen und nur noch schlechteren Möglichkeiten Haken zu schlagen haben wir halt auch diese Abseilstelle benutzt. Danach der Schuttrinne folgen bis zu einer weiteren Abseilstelle an einer großen Sanduhr. Danach ist der Weg frei, der Wandfuß erreicht und über einfaches Gelände wird bald der Civetta-Normalweg von und zur Coldai-Hütte erreicht.

    auf der abstehenden Felsschuppe
    am ostseitigen Wandfuß

Den Bergsportartikel-Herstellern fallen auch immer noch blödere Ideen ein Werbung zu machen. Nun hängt doch tatsächlich am teilweise drahtseilversicherten Civetta-Normalweg eine große Info-Broschüre zum aktuellen Klettersteigset-Rückruf-Galama. Zufälligerweise ist auf jeder Seite fünfmal das Mammut-Logo abgedruckt! Nach tiefgreifenden Überlegungen haben wir uns schweren Herzens entschieden sicherheitshalber besser gleich aufs fachgerechte Klettersteigset zu verzichten.

    ob man hier wohl auch ohne fachgerechtes Klettersteigset drüber darf?!?
Tongue


Wenig später erreichen wir gegen 18:00 Uhr den Bereich der Coldai-Hütte und machen uns gleich an den Weiterweg zur Tissi-Hütte, den am nächsten Tag sollten wir ein großartiges Rendezvous mit der
„Solleder“ in der Civetta Nordwestwand
haben…


    Coldai-Hütte und Monte Pelmo
    der Torre di Valgrande leuchtet im Abendlicht


Torre di Valgrande (2715 m) – “Carlesso”:
- 1. Begehung: Raffaele Carlesso und Mario Menti vom 15. bis zum 17. August 1936
- 2. Begehung: Lino Lacedelli und Luigi Ghedina 06.09.1949 (nach einem vorherigen Versuch mit spektakulären Sturz von Lacedelli)
- 3. Begehung: Jean Couzy und Armando Da Roit 07.-08.08.1951
- 4. Begehung / 1.Damenbegehung: Georges und Sonia Livanos und Robert Gabriel 03.-05.09.1951
- 6. Begehung: Toni Hiebeler und Ulli Wyss 06.-07.07.1952
- 8. Begehung: Cesare Maestri und Marino Stenico 03.09.1952
- 11. Begehung: Andrea Oggioni und Josve Aiazzi 11.08.1953

- 1. Winterbegehung: Herbert Baumgärtner und Georg Ehmann 27.-31.12.1957
- 1. Alleinbegehung: Claude Barbier 01.09.1961
- 1. Winter-Alleinbegehung: Nico Rizzotto 18.-20.03.2004

- Schwierigkeit: VI+, vereinzelte Stelle A0, sowie zwei Passagen A1 (oder eben VIII+ und VII)
- Felsqualität: bis auf die 4. Seillänge bester und auch gut ausgeräumter Dolomitenfels
- Absicherung: Die Route kann sowohl bei den Standplätzen wie auch bei den Zwischensicherungen als gut eingerichtet betrachtete werden. Cams und Keile können sehr gut eingesetzt werden. Insbesondere auch für einen Freikletterversuch in der Schlüsselstelle kann man in den Rissen des Daches mehrere gute Cams unterbringen.
- Wandhöhe: 400 mH
- Kletterzeit: 5-6 h


Materialempfehlung:
- 50 m Doppelseil
- 12-14 Exen
- 6-8 Bandschlingen
- 1 Satz Keile
- 1 Satz Cams: 0.3 bis 3
- Fifi und Leiter bei technischer Kletterei im Dach sicher hilfreich aber nicht unbedingt nötig
- Hammer und Haken derzeit nicht zwingend nötig
- das sonstige, übliche Stand- und Abseilmaterial


Kletterführer / Topos:
Dolomiten: Routen und Erlebnisse
1. deutsche Auflage 2007
Versante Sud
Ivo Rabanser, Orietta Bonaldo

AV-Führer Dolomiten Civettagruppe (vergriffen)
3. Auflage 1981
Bergverlag Rudolf Rother
Andreas Kubin

Dolomiten vertikal, Band Süd
3. Auflage 2005
Loboedition
Stefan Wagenhals & Freunde

Im extremen Fels
2. Auflage 1977
Walter Pause, Jürgen Winkler

diverse weitere sehr gute Wandbilder und Topos sind im Internet zu finden

AV-Karten:
Tabacco Karte Nr. 15
Marmolada-Pelmo-Civetta-Moiazza
1:25000


Viele Grüße
Florian und Tobias
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#2
Nachdem ich das teil im Juni geklettert hab, kann ich endlich auch mitreden. Also, ich denke "normal" 8 reicht, weil:
- ich es OS klettern konnte
- es zwar wackelig und knapp war, aber sicher nicht ganz das Ende meiner Leistungsfähigkeit war
- Trotz schon 2000hm in den Füßen (andere Geschichte...)
- nichts auf einen besonders gute Form oder Tag meinerseits hindeutet
- mein OS niveau bei 8 seinen Meridian hat ( na, 8- geht halt oft, 8+ geht nur selten, 9- nur softmover-spanien,-)
- Die Stelle ist sehr kurz: 2 mal im Riss klemmen (ja, ok, das hilft) und langer Zug zu brauchbarem Seitgriff, dann weit Ausspreizen und (so man nicht vom schmierigen rechten Trittchen rutscht) raufziehen zu nicht-so-gutem-Griff. Aufrichten, Henkel, fertig (bzw. dann deutlich leichter)
Auf jeden Fall eine geile Tour, Hammer! Radl für den Zustieg, wenn der Lift net geht!
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