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Ukraine Sewastopol
#1
Im Oktober war’s wieder so weit. Ich hab mich erneut auf den Weg in die Ukraine gemacht, um mit meiner guten Freundin Nataliya die Felsen nahe Sewastopol am Schwarzen Meer unsicher zu machen. Diesmal waren 10 Tage veranschlagt.
Das ist übrigens Nataliya.
   
Nataliya warnte mich schon zuvor, wir werden ein paar Tage davon campen! Ich sollte also dementsprechend packen. Nataliya kennt sich natürlich aus, was das Campen angeht, sie macht oft Trekkingtouren mit Freunden in den Kaparten und im Kaukasus. Ich eher weniger, d.h. ich gehe auch ab und zu mit dem Zelt in Urlaub, aber ich schmeiß halt den ganzen Krempel ins Auto oder aufs Motorrad und fahr los. Und wenn’s mir zu blöd wird und der Rücken zu schmerzen beginnt, geh ich in ein Hotel. Wir haben auf der Krim allerdings kein Auto zur Verfügung und…ich bin halt kein großer Fan von der Camperei.
Am 5. Oktober gegen Nachmittag landete ich am Flughafen Zhulyany in Kiew. Der hat jetzt übrigens ein neues Hauptgebäude zur EM erhalten, vor einem Jahr hatte das alte Hauptgebäude noch den Charakter und die Dimensionen vom Laupheimer Westbahnhof, nur so am Rande.
Nataliya nahm mich herzlich in Empfang und ich gratulierte ihr zum Geburtstag, den hatte sie nämlich einen Tag zuvor. Zuerst begutachtete sie mein Gepäck, und meinte: „ Zwei Rucksäcke?! Und auch noch viel zu klein! Junge!! Wir gehen zum Campen! Du siehst damit aus wie ein typischer westeuropäischer Tourist (Aha). Wir treffen heute Abend Alexander, der leiht dir dann seinen 120 Liter Rucksack, der müsste reichen.“ Oje!
Nach dem Abendessen bei ihr zu hause sind wir dann in die Stadt, um uns mit Alexander zu treffen. Er kam etwas später und wir hatten Zeit in der Innenstadt herum zu schlendern.
Die City von Kiew hat sich seit meinem letzten Besuch und auch durch die dazwischen liegenden EM nicht sehr stark verändert.
Alexander ist ein echt sympathischer Kerl,
hier steht er neben Nataliya,
   
er ist studierter Übersetzer in Deutsch und Englisch. Der Hammer ist, er spricht Literaturdeutsch! Das klingt ungefähr so, wie wenn ein Literaturprofessor aus einem Buch von einem Superliteraturprofessor vorliest. Ich wusste gar nicht, dass unsere Sprache so elegant und ausdruckstark klingen kann. Nataliya hat zwar auch deutsch gelernt und ich bin mir sicher, sie spricht es auch sehr gut, aber sie redet lieber Englisch, hat für mich den Vorteil, dass ich dadurch mein Hauptschulenglisch etwas verbessern kann. Wir haben uns dann noch lange in einem Cafe unterhalten, auch ein wenig über die wirtschaftliche und politische Lage der Ukraine. Es standen ja bald Wahlen an.
Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um eine Wanderung über den Glatzenberg zu machen. Am nächsten Morgen sind wir mit der U-Bahn nach…Ach! Ich hab keine Ahnung, wo genau der Glatzenberg in Kiew liegt! Wie auch? Wir waren ja mit der U-Bahn unterwegs. Abgesehen davon ist die Stadt echt riesig. Und habt ihr schon mal versucht Kyrillische Schrift aus einer fahrenden U-Bahn aus zu entziffern? Er liegt irgendwo im Südosten glaub ich. Wie auch immer. Der Glatzenberg ist ein Naherholungsgebiet für Smog geplagte Kiewer Naturliebhaber. Der Berg ist ein sandiger, breiter, zerklüfteter Hügel, von dem man einen großen Teil der Stadt und den Dnjepr mit seinen Inseln sehen kann.
   
Es sind noch die Umrisse eines alten Forts zu sehen und es befand sich dort auch mal ein Forschungslabor für Nuklear-technologie. (Davon ist aber nix mehr zu sehen). Alexander hat mir sehr viel über den Berg erzählt, unter anderem auch woher der Name Glatzenberg kommt. Ich hab jetzt aber echt keine Lust das jetzt auch noch zu schreiben. Es ist jedenfalls ein echt schöner Fleck Natur, den man in einer Stadt wie Kiew nicht vermutet. Er lädt sogar zum Picknick ein.
       
Zurück in Nataliyas Wohnung hab ich dann meinen Rucksack umgepackt und wir machten uns auf den Weg zum Bahnhof. Schon auf dem Weg dort hin stellte sich heraus, dass ich absolut nicht trekkingtauglich bin. Alex half mir den Rucksack zu tragen. Die Reise mit dem Zug war schon, wie bei meinem letzten Trip durch die Ukraine, komfortabel. Ich bin immer noch ein großer Fan der Teetassen in denen man seinen Tee oder Kaffee serviert kriegt.
   
Ich war schon sehr früh wach. Wir waren noch nicht auf der Krim und die Sonne ging gerade auf der schier unendlichen Ebene des Festlands auf.
Felder soweit das Auge reicht.
       
Erst auf der Krim, nach Simferopol ändert sich die Landschaft von erst sanften, unbewaldeten Hügeln in ein teils schroff felsiges, teils bewaldetes Gebirge, wie man es aus Ligurien oder Slowenien kennt.
       
In Sewastopol angekommen gaben wir unsere Rucksäcke am Busbahnhof ab und fuhren mit einem O-Bus ins Zentrum. Wir besichtigten die Stadt nur kurz, schlenderten über die Promenade, vorbei an den unzähligen Militärdenkmählern, Brunnen, Statuen und Skulpturen aus der Sowjetischen Ära und dem Militärmuseum. Ja, man läuft in dieser Stadt umher und hat das Gefühl mehr Denkmäler als Häuser zu sehen. Das liegt daran, dass in Sewastopol die Schwarzmeerflotte stationiert ist….oder was davon übrig ist. Zu Sowjetischen Zeiten war die ganze Stadt für Zivilpersonen gesperrt. Die Schiffe sind schon vom Zug aus zu sehen. Auch in der Stadt laufen recht viele Marineuniformen rum. Um die Zeit zu verkürzen, bis der Bus nach Batiliman fuhr, tranken noch einen Kaffee.
Ich bin mir jetzt gar nicht mehr sicher wo dieses Batiliman anfängt und wo es aufhört. Nataliya lies den Busfahrer auf einer Gebirgsstrasse im Nirgendwo stoppen. Sie sagte, die restlichen 5 Kilometer müssen wir zu Fuß gehen, der Bus fährt nicht so weit. Man gelangt zwar auch von der eigentlichen Bushaltestelle über die Küstenstraße zum Klettercamp Kush-Kaya, läuft aber dann dauernd in der prallen Sonne und in den Abgasen alter Wolgas, Ladas und Tatras. Den Weg, den Nataliya wählte, war die alte, für Autos gesperrte Fahrstraße. Es geht stetig bergab, durch ein schattiges, mit Büschen bewachsenes Wäldchen und ist ebenfalls nur 5 Kilometer lang. Hier und da lichtet sich das Gebüsch und gibt den Blick aufs Meer und die in einer Waldlandschaft gebetteten schroffen Felsriegel frei.
       
Ich konnte, trotz des Gewichts meines voll bepackten Monsterrucksacks erstaunlich gut gehen, ich hatte am Anfang bedenken. Seit einem Motorradunfall ist mein linkes Bein etwas zermatscht, ich kann zwar schon lange Strecken gehen, auch Gebirgsrouten sind kein Problem, hab’s aber nie mit einem zentnerschweren Rucksack probiert. Nataliya war voll in ihrem Element! Sie ist ja, wie schon gesagt, ein riesiger Trekking Fan.
Ein paar Meter muss man dann doch noch auf der Küstenstrasse gehen, biegt dann an dem hübsch gestalteten Schild des Campingplatzes nach rechts ab, den Hügel hoch und schon steht man im Camp Kush-Kaya! Kush-Kaya liegt am sonnigen Hang des gleichnamigen imposanten Felsblocks mit Blick aufs Meer.
Werft jetzt erstmal eure westlichen Vorstellungen von einem straff organisierten, kommerziellen Campingplatz über Bord! Das Ganze gleicht eher einem Kinder-Sommercamp in dem die kleinen Racker das Kommando übernommen haben, weil, die Aufseher wasweißich… von Bären gefressen wurden oder so! Die wahr gewordene Fantasie eines romantischen Räuberverstecks, nur, dass die Bewohner statt grüner Stumpfhosen, Gore-Tex Klamotten tragen. Und statt mit Pfeil und Bogen, die ganze Zeit mit ihren Exen und Karabiner rum hantieren.
Es ist alles da was man braucht. Es gibt Duschen, gespeist von zwei riesigen Wassertanks. Zwei Plumpsklos hat’s und einen…ich nenne es mal Küchenpavillon mit Gaskochern, Spülbecken, Trinkwasserkanistern, allerhand Geschirr, das zurück gelassen wurde und Bouldergriffen an der Decke. Strom gab es auch, abends zwischen 19 und 21 Uhr ungefähr (wer einen akkubetriebenen Rasierer hat ist klar im Vorteil!).
       
       
Geleitet wurde das ganze von Mischa und zwei weiteren Typen im Schichtbetrieb. Die eigentlichen Chefs waren drei Katzen, die in dem Camp lebten und sich permanent am Proviant der menschlichen Bewohner bedienten. Mit von der Partie waren noch zwei Litauer und eine kleine Gruppe mit vier Leuten eines Moskauer Klettervereins.
Haha! Die sind aus allen Wolken gefallen, als Nataliya ihnen erzählte woher ich kam! Die konnten gar nicht glauben, dass sich ein Deutscher ausgerechnet dort hin verirrt! Und dass ich wirklich ein Deutscher bin, glaubten sie erst recht nicht! Deutsche sind doch alle Blond und 1,85 Meter groß und keine dunkelhaarige Pimpfe. Sie hielten mich eher für einen Italiener.
Tja! Jetzt wisst ihr’s “Ciao, mi chiamo Paolo, io veniamo della Italia.“ Hahaha!
Leider hatte ich diesen Moment verpasst, da war ich wohl grad auf der Toilette oder so. Also ganz kommerzfrei war’s dann doch nicht, umgerechnet 4€ kostet die Nacht pro Nase. Wir haben dann recht fix unser Zelt aufgebaut und nach einer Tasse Tee, es war schon Abend, gingen wir noch ne Runde im Schwarzen Meer baden. Darauf hab ich mich echt schon gefreut. Letztes Mal, als ich an der Krim war, war grade Ostern und da ist es definitiv zu kalt zum Baden. Schmeckt gar nicht mal so übel, dieses Schwarze Meer. Ist bei weitem nicht so salzig wie die anderen Meere, in denen ich schon gebadet habe. Das Wasser war noch angenehm warm und um ehrlich zu sein, es war auch bitter nötig! Zum einen sind wir heute fast den ganzen sonnigwarmen Tag in Sewastopol und mit dem Bus unterwegs gewesen, dann der Marsch zum Campingplatz. Und, ich hab den Toilettenraum im Zug gemieden…da drin wird man nicht wirklich sauber. Es war dunkel, als wir wieder beim Platz ankamen. Die anderen saßen schon auf den Bänken um den massiven Tisch und mampften allerlei Zeug. Nataliya kochte dann auch was Leckeres. Wir saßen noch bei einer Tasse Tee zusammen und redeten bis das Licht aus ging. Das heißt, die anderen redeten. Klar, ich kann kaum Russisch, und dazu bin ich etwas scheu. Die beiden Litauer konnten recht gut Englisch, aber es blieb vorerst beim small talk. Aber halb so wild. Ich genoss es, einfach nur da zu sitzen und den Menschen beim Mensch sein zu zuschauen. Rund um uns war Dunkelheit und Stille.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, stand natürlich klettern auf dem Plan. Was denn sonst! Der Himmel war wolkenlos und Mischa, der Campleiter, schnappte seine Ausrüstung und ging spontan mit uns. Meist sitzt er mit dem Laptop in seinem Liegestuhl. Wir wollten an diesem Tag im Sektor Afrika klettern. Der Weg dort hin führt an vielen Boulderfelsen vorbei. Rund um den Campingplatz finden sich die teils nummerierten Felsen und Mischa weiß genau, wie man sie richtig klettert.
Unterwegs zum Sektor war Mischa natürlich neugierig, wer ich war, wo genau ich her kam und wo man denn so in Westeuropa klettert. Zum Glück konnte er recht gut Englisch. Er erzählte mir auch, was er die letzten Tage getan hat. Er war bei einem nationalen Kletterwettbewerb als Mitorganisator engagiert und half die Routen einzurichten in einer Stadt, von der ich später noch berichten werde. Der klettert, glaub ich nicht nur so zum Spaß! Hat er später auch bewiesen.
Afrika befindet sich auf der Südseite von Kush Kaya…. Ähmm ja, den Sektor meine ich natürlich. Also klettert man mit Meerblick und Sonne im Rücken.
       
Als wir ankamen, war die Moskauer Klettergruppe schon voll zu Gange. Ich hatte noch die Felsen in Sudak letztes Jahr Ostern im Hinterkopf, rau, scharfkantig und voller Löcher. Und dieser Fels übertraf, was das Raue und Scharfkantige angeht so einiges, was ich schon beklettert habe! Nur mit Löchern sah es eher Mau aus. Macht aber nix. Abgesichert ist die komplette Wand wie in der Kletterhalle. Hakenabstände von anderthalb Meter sind der Durchschnitt. Hihi! Wenn man’s nicht gewöhnt ist, rennt man dran vorbei.
       
Mischa sowieso. Dass er nicht noch, während er gerade die Route rauf rennt, nebenher sein Kleingeld in der Hosentasche gezählt hat, ist noch eine Sache! Der hat’s voll drauf! Was mich beeindruckt hat, war die Offenheit unter den Kletterern, allgemein unter den Menschen dort. Sobald du gerade nichts zu tun hast, also gerade nicht sicherst oder kletterst, winkt dich einer her und signalisiert dir, dass er dich gern an irgendeiner Route sichert. So was erlebt man hier in Deutschland eher selten. Gegen Mittag gingen wir wieder zurück zum Zelt, um eine Kleinigkeit zu essen. Wir ließen die Expressen zurück an der Wand, um gegen Abend noch ne Route auszuprobieren, was wir dann auch noch Später getan haben. Nach dem Mittagsimbiss sind wir runter zur Strasse. Ein Kilometer entfernt vom Campingplatz gab es eine Raststation, dort hab ich mich mit Mineralwasser eingedeckt und Nataliya kaufte noch Trauben. Kaum waren wir dort angekommen, brach ein leichtes Gewitter los. Wir fanden Schutz unter einem Picknick-pavillon und schauten den Blitzen zu, wie sie im Meer einschlugen. Das Ganze ging vielleicht 10 Minuten oder so, als wir am Zelt an kamen war schon wieder alles Trocken und wir holten die Expressen am Fels. Abends saßen wir dann wieder in gemütlicher Runde bei einer Tasse Tee zusammen bis wieder das Licht aus ging.
Am folgenden Morgen, es war mittlerweile Dienstag, meldete sich meinen Rücken, um mir zu sagen, dass er mit der Zelterei überhaupt nicht einverstanden ist. Die Stechmücken taten auch ihr bestes, um mir den Schlaf zu rauben. Außerdem hat es nachts immer wieder leicht geregnet. Das alles zusammen genommen hat mir aber jetzt nicht wirklich die Laune verdorben. Im Gegenteil! Die Sonne schien wieder und ich war froh aus dem Zelt heraus zu kommen.
Nataliya schlug vor, heute etwas zu laufen, um später, wenn alles wieder Trocken ist, noch ne Runde zu klettern. Ziel war Das 5 Kilometer entfernte Batiliman. Die kleine Ortschaft ist etwas zerstreut um eine Bucht gebaut. Dort befinden sich ein paar größere und kleinere Hotels, einen Ortskern hab ich jetzt nicht gesehen aber allerlei interessante Sachen am Straßenrand.
       
Wir waren dann noch am Strand und haben an einer Raststätte, Tschbureki gegessen Das ist ein in frittiertem Teig gefülltes Goulasch. Am Nachmittag kletterten wir noch ein wenig in einem Sektor, dessen Namen ich mal wieder vergessen hab.
       
Und am Abend folgte das übliche Prozedere, Nur mit dem Unterschied, dass die Russische Klettergruppe abgereist war. Nataliya kochte noch was Feines, und dann ging’s ab in die Falle.
Wir standen am darauffolgenden Morgen sehr früh auf, es stand eine Alpine Route mit 13 Seillängen auf dem Programm. Mein Rücken maulte noch lauter als am Morgen zuvor. Der Zustieg befindet sich rechts neben dem Sektor Afrika. Auf dem Weg dort hin, viel mir auf, dass Nataliya unruhig und nervös war. Irgendwas stimmte nicht. Ich kenne Nataliya als gut sortierten und aufgeräumten Menschen, was sie macht hat normalerweise immer Hand und Fuß. Doch an diesem Morgen war sie völlig neben sich. Ich sagte aber nichts und dachte mir, wenn wir die erste Seillänge bewältigt haben renkt sie sich schon wieder ein. Es sollte aber ganz anders kommen! Nataliya bestand darauf, die erste Seillänge im Vorstieg zu machen. Gute Idee, dachte ich mir, danach ist wieder alles im Lot. Von Wegen! Sie fand auf schon auf den ersten Metern keine klare Linie, wirkte völlig unsicher und als sie unter einem Felsvorsprung saß, mich mit großen Augen ansah und fragte, was sie jetzt tun solle, machte ich mir nun echt große Sorgen! Als sie dann endlich den ersten Stand erreichte, hörte eine ganze Weile nichts von ihr. Ich beschloss einfach mal los zu klettern, wird schon schief gehen. Sie sicherte mich wie gewöhnlich. Als ich oben an kam, packte sie ihre Uhr aus und meinte sehr nervös, dass es schon zu spät sei, es war kurz vor zehn, und dass wir es unmöglich schaffen werden bis ganz rauf. Ich hab mir die Route am Vortag angesehen und zwei Möglichkeiten gefunden wo man eventuell ausqueren könnte. Ich meinte zu ihr, dass wir es ja versuchen könnten, aber als ich sie ansah, war mir klar, das wird heut nix mehr. Wir legten das Seil um eine große Felsnase, um uns abzuseilen. Ich ging als erster runter, sie als zweite….logischerweise.
Ich weiß nicht woran es lag, aber sie hatte erhebliche Probleme dabei, das Seil ging nur sehr schwer durch ihren 8er. Auf halber Strecke hielt sie auf einen Vorsprung an, um das Seil etwas zu lockern und dann geschah es! Aus heiterem Himmel stürzte ein, im Format einer gut gefüllten Pizza Calzone, großer Stein ungebremst aus ca. 15 Metern Höhe, direkt auf ihren angewinkelten Oberschenkel! Ich suchte Deckung hinter einem Baum, da das Teil auch noch in meine Richtung flog. Ich hab gesehen, wie der Stein auf ihrem Oberschenkel aufprallte, und dachte, oh Scheiße! Der Knochen ist ab! Was machst du jetzt?! Zu hause gibt’s die Bergwacht und den DAV, hier nicht! Wen rufst du an? Und, ich kann doch kein ukrainisch!
Ich rief zu Nataliya, wie geht es deinem Bein? Ist es gebrochen? Sie sagte nur, ich weiß es nicht. Anscheinend war nichts gebrochen und sie seilte sich die letzten Meter zu mir ab.
Wir ließen nicht viel Zeit verstreichen und versuchten gleich das Seil ab zu ziehen, da wir uns die folgenden Meter am Abstieg auch noch mal abseilen mussten. Aber das Seil gab keinen Millimeter nach. Es hing an der Felsnase fest. Also kletterte ich, mit meinen 8er und durch einen Prusik gesichert, wieder hinauf um das Seil, ja ich weiß, einige von euch werden jetzt die Hände überm Kopf zusammen schlagen, durch einen Blechbohrhaken zu fädeln. Daran seilte ich mich erneut ab. Was will man sonst machen in dieser Situation? Es gab halt dort nichts anderes. Auf dem Weg zum Camp hab ich sie immer wieder gefragt, ob alles in Ordnung sei, und wie es ihrem Bein gehe. Ich erhielt immer die gleiche Antwort, sie wusste es nicht! Aber immerhin konnte sie noch Laufen. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Bei den Zelten angekommen, sprach sie sehr lange mit Mischa. Später sagte Nataliya, dass sie die Telefonnummer der Bergrettung von Sewastopol in ihrem Telefon gespeichert hat. Ich war ziemlich müde und der Schreck steckte mir noch gehörig in den Knochen, darum suchte ich mir einen großen Kuschelfels, auf dem ich dann eindöste.
Nach einer Weile weckte mich Nataliya und sagte, sie gehe jetzt mit Mischa eine Runde bouldern, wenn ich ausgeschlafen habe könnte ich ja nach kommen. Sie zeigte mir noch die grobe Richtung, in welcher ich sie finden würde und schon waren die beiden Unterwegs. Tja! So is sie, unsere Nataliya. Eine Kämpfernatur! Ich war froh, dass es ihr wieder gut ging.
Ich blieb noch ein bisschen liegen, bouldern ist eh nicht so mein Ding…Bodenturnen für Fortgeschrittene. Außerdem war es gerade echt gemütlich hier und ich lauschte den beiden Litauern, die etwas rechts vom Camp lautstark in der Wand kletterten. Sie waren morgens zur selben Zeit wie wir aufgebrochen. Einer der beiden erzählte mir am Abend zuvor, dass sie Vertreter der rustikalen Art des Alpinkletterns sind, also ohne Bohrhaken und so’n Zeug, dafür mit Eisen und Hammer. Das waren zwei aufgeweckte, lustige Typen, spielten unentwegt mit den Katzen oder waren am essen. Aber wehe eine der Katzen machte sich an ihrem Proviant zu schaffen! Leider weiß ich die Namen der beiden nicht. Aber wenn sie so neben einander standen erinnerten sie mich an zwei weltberühmte Schwarzweiß Filmstars aus den 20ern. Ihr wisst schon welche ich meine. Nach einer gefühlten halben Stunde machte ich mich dann doch auf den Weg zu den Beiden und boulderte noch ein wenig mit.
       
Gegen Abend, es wurde schon dämmrig, ich wurstelte gerade meinen Kittel aus dem Zelt, da es etwas frisch wurde und ein fieser Ostwind blies, hörte ich die Litauer wieder rufen. Nur, dass es dieses Mal anders klang. Es hörte sich an, als würden sie zu uns runter rufen!
Dank meiner brillanten Russischkenntnisse verstand ich selbstverständlich kein Wort. Also eilte ich zu den anderen und machte sie darauf aufmerksam. Mischa saß wie üblich lässig in seinem Liegestuhl, er hatte gerade zwei Freunde zu Besuch. Er stand auf, brüllte irgendwas hoch, bekam dann eine Antwort und schwang sich wieder mit sorgloser Miene in seinen Liegestuhl. Schien wohl alles in Ordnung zu sein. Mittlerweile war es schon dunkel und das Rufen (oder Fluchen) der Beiden da oben galt aber wohl unter einander. Auf einmal riefen sie wieder in unsere Richtung, es begann ein kurzer Wortwechsel mit Mischa. Jetzt konnte man auch ihre Stirnlampen in der Wand blitzen sehen. So wie es aussah, saßen sie in der letzten Seillänge fest. Aber Mischa setzte sich erneut in seinen Stuhl. Ich fragte Nataliya, was jetzt los sei, und so wie ich sie verstanden habe, kamen sie im Dunkeln nicht weiter und wollten wohl in der Wand übernachten. Ich muss schon sagen, der Ostwind war an diesem Abend außerordentlich frisch! Und einer der beiden hing mitten in der letzten Seillänge, während der andere sich an einem Standplatz befand. Eine Stunde später hörte man es wieder aus der Wand rufen, diesmal schnappte sich Mischa seine Ausrüstung, bildete mit seinen beiden Gästen ein Rettungsteam und verschwand in der Dunkelheit. Nataliya und ich blieben alleine im Camp zurück. Gegen später tauchten noch mal zwei Jungs auf, die ich zu Anfang mit der russischen Klettergruppe gesehen habe. Wieso sie immer noch da waren und wo sie jetzt her kamen weiß ich nicht,…aber man muss ja auch nicht alles wissen, oder? Sie blieben noch auf ne Tasse Tee und unterhielten sich mit Nataliya. Ich ging dann irgendwann ins Zelt, hörte aber noch, wie der Rettungstrupp mit den beiden Litauern zurück kam.
Nach einer äußerst unbequemen Nacht quälte ich mich aus dem Schlafsack. Mein Rücken grölte mich an: „Hey Alter! Jetzt is aber dann gut, gell?! Das sag ich meinem Anwalt!“ Heute war es auch etwas trüb, und bei mir zündete an diesem Morgen auch kein Gutelaune-feuerwerk.
Selbst das Frühstück half nicht wirklich. Das merkte auch Nataliya und meinte, ich könnte mich ja heute einfach ausruhen, sie wollte aber noch ein paar Routen in einem Sektor östlich
vom Campingplatz klettern, einer der beiden Litauer war schon wieder fit und ging mit ihr, um sie zu sichern. Aber all zu lange hielt ich’s dann auch nicht aus. Was soll der Käse, vom Rumsitzen wird der Rücken auch nicht besser. Also schnappte ich meinen Krempel und zog los, um die beiden zu finden. Aber so ist es halt, erst hat man keine Lust, dann überwindet man sich doch, und am Ende hat man nen richtig tollen Tag. Und so war’s dann auch! Es ist schon irre, zu hause, im Blautal, sucht man verzweifelt Halt auf einem speckigen Minitritt. Dort klettert man halt einfach los! Anfangs suchte ich wie gewohnt einen sicheren Tritt. Hab ich dann aber bald bleiben lassen, da kannste gleich auf Reibung gehen. Die Felsen da sind so unglaublich rau! Ich wagte mich an Routen, die ich im Blautal nie klettern würde. Allein schon der Absicherung wegen. Auch Nataliya hat ihre Linie wieder gefunden. Darum war ich echt froh!
       
       
Gegen Nachmittag zogen wir zum letzten Mal das Seil ab und gingen noch ans Meer zum Baden. Es war zwar immer noch trüb, und das Wasser etwas frischer als die Tage zuvor, aber schön war es trotzdem. Es war der letzte Tag, den wir im Camp verbrachten. Um ehrlich zu sein, ich war auch froh darum. Es waren zwar echt tolle Tage, voller Spaß, Action, Abenteuer und netten Leuten. Nataliya kochte lauter leckere Sachen und die Kulisse mit dem mächtigen Kush Kaya Felsen vor der Nase und dem Meer im Rücken bleibt mir sicher sehr lange in Erinnerung. Aber ich freute mich auf ein richtiges Bett mit einer richtigen Matratze und einer Dusche mit warmem Wasser, oder auch mal wieder auf einem stinknormalen Stuhl zu sitzen. Aber wisst ihr was? Mischa gab mir für die Nacht noch eine zweite Isomatte. Nachdem ich das Kletterzeug und die Dreckwäsche in meinem Monsterrucksack verstaut hatte, ließen wir den Abend beim Abendessen und einer Tasse Tee ausklingen.
Wir standen an diesem Morgen wieder sehr früh auf, packten unsere Sachen und bauten das Zelt ab. Gemeinsam mit den beiden Litauern, die ebenfalls die Heimreise antraten, warteten wir an der Küstenstrasse auf ein Sammeltaxi, das uns zur Bushaltestelle in Batiliman bringt.
Wir fuhren dann mit dem Bus zurück nach Sewastopol. Heute war für mich allerdings ein besonderer Tag. Ich hatte Geburtstag! Mal wieder. In der Ukraine ist es üblich, dass einem erst ab der Geburtsstunde gratuliert wird, also gratulierte mir Nataliya erst um kurz nach elf.
Naja, Pech haste natürlich, wenn du erst um kurz vor Mitternacht zur Welt gekommen bist.
In Sewastopol gaben wir wieder unsere Rucksäcke in der Busstation ab und fuhren mit diversen Bussen nach Balaklawa. Balaklawa ist eine kleine Ortschaft, die zwischen hohen Bergen um eine große Bucht liegt. In einem Felsen dieser Bucht verbarg sich jahrzehntelang ein Geheimnis.
Darin Befand sich während des kalten Krieges ein geheimer Atombombensicherer U-Boot-bunker. Durch seine geographische Lage war er weder von Satelliten, noch von Spionageflug-zeugen einsehbar. Die U-Boote konnten sogar in getauchtem Zustand ein- und ausfahren. Die Besichtigung der Anlage war mein Geburtstagsgeschenk von Nataliya. Und ich muss sagen, das war sehr beeindruckend, allein schon was die Typen alles aus dem Fels meißeln mussten!
   
Die Anlage ist riesig, mit schier endlosen Gängen und Gewölben, die jetzt zu Ausstellungshallen umfunktioniert wurden. Darin befinden sich Vitrinen mit allerlei Informationen über die Schwarzmeerflotte. Unter anderem auch eine Ausstellung über das Ende des kalten Krieges.
   
In fast jedem Saal gab es uniformiertes Wachpersonal, das einen nicht auch nur eine Sekunde aus den Augen ließ. Aber Nataliya wusste was zu tun war! Ich weiß nicht was genau sie ihm erzählte, ich verstand nur ein paar Wortfetzen wie Blablabla “Reporter“ und blablabla “Germany“…. Und schon lotste uns der Wachmann mit freundlichem Grinsen vorbei an den Absperrgittern, um einen baufälligen Gang entlang der Fahrrinne zu gehen.
   
Dabei signalisierte er uns mit dem Zeigefinger auf den Lippen, dass er sich dabei wohl Ärger einfangen kann. Also, darf ich vorstellen? Ich bin Paolo, der kletternde, italienische Reporter aus Germany! Eieieiei! Da machste was mit! Besonders lustig fand ich übrigens dieses Bild, Wer findet den Kerl der wohl saure Gurken in seinem Frühstücksmüsli hatte?
   
Anschließend besichtigten wir die kleine Stadt und eine alte Burgruine, die oben auf den wirklich atemberaubenden Klippen stand.
       
Leider wird die Stadt Balaklawa immer mehr von furchtbar hässlichen Hotelklötzen verbastelt. Wir fuhren wieder zurück nach Sewastopol. Dort hat mir Nataliya ein kleines Buch in Deutsch mit all den Sehenswürdigkeiten der Krim gekauft, und ich kaufte mir ein typisches Touri T-Shirt mit einem Sewastopol Logo. Is ne Marotte von mir, mach ich immer, wenn mir ein Ort besonders gefällt. Nataliya empfahl mir ein gestreiftes, klassisches Marine T-Shirt zu kaufen,… aber Streifen? Der Abend brach an und ich war schon ziemlich müde. Wir warteten wieder auf einen Bus, der uns nach (jetzt haltet euch fest!) Bachtschyssaraj bringen sollte. Ich kann’s bis heute noch nicht richtig aussprechen. So langsam kamen auch die ganzen Geburtstags SMS an. Während ich eifrig in meinem Telefon rum daddelte, suchte Nataliya den richtigen Bus. Und als ich so alleine da saß, und dem Treiben der Stadt zu sah, realisierte ich wieder, wie fremd mir hier doch alles ist. Die Schrift die ich nicht entziffern konnte, die Sprache, die ich nicht verstand, die Autos und Lastwagen, die ich noch nie zuvor gesehen hab und das verhalten der Leute, die eigentlich nichts anderes tun als unser eins und dennoch so fremd auf mich wirkten. Eigentlich bin ich ja der Fremde, trotzdem fühlte ich mich dort sicher und sauwohl.
Als wir in Bachtschyssaraj (ich hoff, ich muss den Namen nicht mehr so oft schreiben) ankamen, war es schon Dunkel. Wir stiegen in ein Taxi, das uns ans andere Ende der Stadt zu einer privaten Herberge bringen sollte, der Kerl raste wie ein blöder durch die von Schlaglöchern zerfressenen, unbeleuchteten Straßen der Stadt. Ich erwähnte ja schon in meinem ersten Reisebericht, warum man sich in den ukrainischen Taxis auf der Rückbank nicht anschnallen sollte. Ich tat’s trotzdem und dachte mir, jetzt stirbst du an deinem Geburtstag auf der Rückbank eines alten Lada Taxis, in einer ukrainischen Stadt, deren Namen du nicht mal richtig aussprechen kannst! Toll!
Ave Maria! Wir erreichten die Herberge in einem Stück. Die Hausdame der Herberge wartete auf uns schon an der Strasse und nahm uns herzlich in Empfang. Das Grundstück war von einer hohen Mauer umringt und durch eine Stahltür gesichert, durch den Garten gelangten wir zu einem Nebeneingang in die Herberge. Das Haus ist typisch tatarisch gebaut. Erst baut man ein kleines Haus, dann baut man noch eins drauf… und noch links eins hin und rechts auch noch eins, und dann noch eins drum herum. Und vorne und hinten passt auch noch eins hin. Es ist kaum zu glauben, wo ich überall Zimmerchen und Nischen gefunden hab.
   
Eigentlich wollten wir ja noch was Essen gehen, aber wir haben es dann auf den nächsten Tag verschoben. Ich wollte nur noch ins Bett, ein richtiges Bett, mit einer Matratze! Hurra!!
Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster sah, traute ich meinen Augen kaum! Wir waren in einem Vorort, der mitten in einem engen Canyon lag.
       
       
       
So was kannte ich bis jetzt nur aus dem Fernsehen. Wir haben auch nicht viel Zeit mit Frühstück verschwendet, sondern sind gleich los. Nataliya wollte mir das, in den Fels gemeißelte, kyrillische Kloster Uspienski aus dem 8. Jahrhundert und die noch ältere Höhlenstadt Tschufut Kale zeigen.
Bachtschyassaraj ist eine krimtatarische Stadt, also muslimisch geprägt. Überall sieht man Minarette und Männer mit einem traditionellen Fes, das sind bunt verzierte Hüte ohne Krempe mit einer Art Quaste, die an einer Kordel in der Mitte des Huts angebracht ist.
Bis zum Kloster war ein gutes Stück durch den Canyon zu laufen, überall sah ich Höhlen, die in den weichen Stein gehaunen waren, sie wurden als Keller und Abstellräume von den Mönchen und er Bevölkerung genutzt, auch heute noch, hat mir Nataliya erzählt. Die Häuser und Straßen in dem Vorort sind sehr schlicht und spiegeln die finanzielle Lage ihrer Bewohner wieder. Das ist übrigens auch die Stadt, in der Mischa die Kletterrouten für einen Wettbewerb eingerichtet hat, ihr erinnert euch?
Das Kloster wiederum thront mit seinen goldenen Kuppeln und seiner weißen Fassade erhaben im Fels. Es ist unglaublich, was die Mönche über Jahrhunderte in den Stein getrieben haben. Ich wusste, dass es so ähnliche Klöster auch in Griechenland gibt, aber live hab ich das noch nie gesehen.
       
       
       
Im schön gestalteten Klosterhof stehen mehrere Brunnen aus denen die Pilger gesegnetes Quellwasser trinken und in Flaschen abfüllen konnten. Im Inneren der Kapelle sind der Boden und die Decke mit sehr detaillierten Fresken und Bildern aus Mosaiken gestaltet. Eigentlich durfte man auf der Klosteranlage nicht fotografieren, weder die Brunnen, noch das innere des Kirchenraums. Ich hab mich nicht ganz daran gehalten, aber laut Nataliya bin ich ja auch der Reporter aus Germany. Im Allgemeinen galten sehr strenge Verhaltensregeln. Frauen durften den Kirchenraum nicht mit Hosen betreten, es wurden extra schürzenartige Röcke zur Verfügung gestellt, die dann umgebunden werden mussten, während die Männer im Adidas-Trainingsanzug rein durften.
Vom Kloster aus führte ein Weg über die Klostergärten und einem Wäldchen in Richtung der Höhlenstadt Tschufut Kale. Am Wegesrand kann man an Marktbuden allerlei Zeug kaufen, was man so brauchen kann, oder auch nicht…eher nicht. Als Nataliya mir von einer Höhlenstadt erzählte, dachte ich mir, meine Güte, da sieht man halt ein paar große und kleine Höhlen mit verfallenen Hütten drum herum. Aber als wir aus dem Wäldchen kamen, lag vor uns auf einer Anhöhe ein riesiger Felsriegel, durchzogen von unzähligen Löchern, Höhlen und Mauern.
       
Die Höhlen sind wie Zimmer in den Fels gehauen, teils mehrstöckig mit Treppen oder auch als große Säle oder Ställe eingemeißelt. Die Wohnungen der Wohlhabenden hatten übrigens Fußbodenheizung…. nur’n kleiner Scherz!
       
       
Das Plateau ist riesengroß, dessen Wände fast rundum senkrecht abfallen. Am Eingang wurden die Stadtmauer und das Stadttor wieder aufgebaut. Man kann die ganze Anlage auf eigene Faust erkunden, es gab zwar auch Führungen, allerdings auf Russisch. Ich hatte ja Nataliya dabei, sie erklärte mir viel und wir hatten jede Menge Spaß.
Die Stadt entstand vermutlich im 5. oder 6. Jahrhundert, von Alanen gegründet, wurde dann von der Goldenen Horde überfallen und geplündert. Anschließend siedelten dort die Karäer, einer spezifischen Form des Judentums. Daher auch der Name Tschufut Kale, das bedeutet auf Krimtatarisch Jüdische Festung. Irgendwann gaben die Karäer die Stadt auf und sie wurde in der Zeit des osmanischen Reiches als Gefängnis für prominente Personen genutzt. Zu besichtigen ist auch ein Mausoleum einer Kahns Tochter.
   
Ach ja, Zar Nikolay II und sine Familie war auch mal zu Besuch. So! Jetzt aber ist Schluss mit dem Geschichtsunterricht! Es ging schon auf die Mittagszeit zu und ich bekam langsam Hunger. Nachdem wir noch die grandiose Aussicht auf die umliegenden Nachbarplateaus bestaunt haben, gingen wir wieder zurück in den Vorort von Bachtschya…ach ihr wisst schon wohin.
       
   
Dort lud ich dann Nataliya zum Geburtstagessen in ein tatarisches Restaurant ein. Traditionell nimmt man in bei den Tataren seine Mahlzeiten halb im Liegen an einem speziellen Esstisch ein. Aber werfen wir doch mal einen Blick auf die Speisekarte.
   
Aha!
Nachdem Rinder- und Hammelschaschlik zu meinem bedauern aus war, bestellte ich mir ein leckeres Leberschaschlik, nicht lachen! Das war wirklich lecker, und reichlich noch dazu. Vollgestopft mit Unmengen Leber, Bratkartoffeln, Fladenbrot und Gemüse, spazierten wir zum Kahnspalast nahe dem Zentrum von Bachtschyssaraj. Unterwegs kamen wir an einem Markt und einigen Cafes vorbei. Auch wenn die Stadt mit seinen flachen Häusern und staubigen Straßen selbst auf den zweiten Blick einen stark heruntergekommenen Eindruck erweckt, ist sie dennoch voller Leben. Dank dem Kahnspalast, dem Kloster Uspienski und Tschufut Kale, ist der Fleck hier ein sogar ein kleiner Touristenmagnet. Während wir noch auf dem Markt herum schlenderten rief der Muezzin über einen Lautsprecher zum Gebet auf.
Der Kahnspalast ist eigentlich ein Haremspalast, in dem die Frauen des Kahns Sahib I. Giray im 15. Jahrhundert lebten. Im Innenhof des Palastes sind kleine Teiche und Brunnen, die Wände des Hauptgebäudes war mit Arabischen Schriftzeichen verziert.
       
Zur gleichen Zeit feierte dort auch eine Hochzeitsgesellschaft, das war recht nett. Die Hausmoschee mit den typischen Minaretten war ja gleich hinter dem Palast. Überall, auch in den Hinterhöfen, gab’s was zu entdecken.
       
       
Aber im Palast selbst waren wir nicht, dafür hat leider die Zeit nicht gereicht. Wir mussten ja noch den Zug zurück nach Kiew kriegen. Zuerst mussten wir aber zurück zur Herberge, da lag noch unser ganzes Zeug. Nataliya unterhielt sich noch ein wenig mit der Hausherrin bevor wir mit dem Bus zum Bahnhof fuhren. Wir waren viel zu früh am Bahnhof angekommen, saßen im Dunkeln auf einer Bank und unterhielten uns. Es war noch schön warm und ich fühlte mich sehr wohl in diesem Moment. Abgesehen davon, dass Nataliya mich mehrmals schimpfte, weil ich dauernd auf meine Uhr schaute, der Zug wird schon pünktlich sein. Die Heimfahrt war nicht so der Brüller. Nataliya hatte ein anderes Schlafabteil, ich teilte mein Abteil mit einer Gruppe Leuten, die von einem Betriebsausflug aus Sewastopol zurück nach Kiew fuhren. Das waren leider ziemlich unordentliche und rücksichtslose Zeitgenossen. Aber was will man machen? So Typen trifft man überall. Da muss ich nur mal an Malta zurück denken…. Aber das ist eine andere Geschichte.
Als ich am nächsten Morgen aus dem Zugfenster sah, regnete es in Strömen. Nataliya kam in mein Abteil. Nun realisierte ich wieder, dass doch schon Mitte Oktober war. Wir wurden ja die letzte Zeit sehr von der Sonne verwöhnt, selbst als wir auf dem Glatzenberg in Kiew unterwegs waren, konnte man noch locker im T-Shirt rum laufen. Gegen Mittag erst, sollte unser Zug Kiew erreichen. Ich hoffte, dass sich das Wetter bis dahin wieder besserte. Vergebens! Die Landschaft zog gemächlich am Fenster vorbei, hin und wieder sah man kleine Ortschaften mit kleinen Häusern und Hütten. Die Straßen waren wie leer gefegt, klar! Wer geht schon bei so einem Sauwetter vor die Tür? Abgesehen war ja auch Sonntag. Die Zugfahrt schien mir endlos. Ich wollte nur noch nach Kiew. Ich hatte schon seit Tagen immer dieselbe Hose an, Tag und Nacht. Freute mich schon, wieder die Jeans zu tragen, die in Nataliyas Wohnung in meinem Rucksack auf mich wartete. Und natürlich eine schöne warme Dusche! Als wir in Kiew an kamen, schien es, als hingen die Regenwolken mitten in der Stadt. Ein extrem nasser Nebel. Dazu war’s auch noch saukalt! In Nataliyas Wohnung ließ ich erstmal all meine Träume von einer Dusche und frischen Klamotten wahr werden. Und nach einer stärkenden Mahlzeit ging es auch schon wieder raus. Erstmal gingen wir in einen Billa Supermarkt. Ja, die gibt es da auch. Dort hab ich mich dann mit Süßigkeiten, als Mitbringsel für zu Hause eingedeckt. Anschließend fuhren wir mit der U-Bahn zum Kiewer Höhlenkloster Andreas. Von der U-Bahnstation zum Kloster durchquerten wir eine große Parkanlage direkt am Dnjepr. Dort stehen einige Mahnmale aus der Sowjetzeit zum Gedenken an die Besatzung durch die Wehrmacht und der Gefallenen in diesem Krieg. Die aktuelle Regierung hat auch noch ein paar dazu gebaut. Auf der Klosteranlage steht auch die Kirche zur Errettung Berestove. Nataliya erklärte mir, wenn man die Außenwand berührt und ganz fest an einen Wunsch glaubt, geht er auch in Erfüllung. Hab ich logischerweise dann auch gemacht. Kann ja nicht schaden, und Wünsche hat ja wohl jeder. Allerdings haben sich in letzter Zeit einige Wünsche erfüllt, aber speziell dieser eine Wunsch leider noch nicht… Der braucht wohl noch ein bisschen Zeit. Wir spazierten ein wenig durch die Anlage, sehen konnte man leider nicht viel. Der Nebel wurde immer dichter und Dunkel wurde es auch noch dazu. Wir gingen auch noch in eine Kathedrale. Dort waren die Wände mit prachtvollen Gemälden ausgestattet, wie sie in vielen orthodoxen Kirchen zu finden sind. Als wir später noch über einen Hinterhof schlenderten pöbelte uns ein uralter Priester an, Ich weiß nicht was er wollte, Er war scheint’s grätig wegen einem unverschlossenem Tor, nicht mal Nataliya verstand, was er genau wollte. Der war so dermaßen pampig, dass er sogar Nataliya ein wenig aus der Fassung brachte, und das will was heißen! Diese Situation brachte uns später auf ein deutsches Wort, das Nataliya kannte und unheimlich witzig und passend fand. “Rumpelstilzchen“! Wir lachten uns schlapp dabei! Sie meinte auch, dass die deutschen Märchen sehr hart und grausam seien, im Gegensatz zu russischen Märchen. Stimmt ja auch, wenn man nur an den Kinder und Omas fressenden Wolf denkt oder an die makaberen Geschichten von Willhelm Busch. Wir gingen zurück in den Park. Dort warteten wir bei einem Denkmal auf Alexander, mit ihm wollten wir noch einen Kaffee trinken gehen. Alex ist ein Kaffeejunkee, genau wie ich. Und für einen guten Espresso findet sich immer etwas Zeit. Wir nahmen Platz in einem echt schicken Cafe, und schön warm war’s da auch noch! Perfekt! Bei Kaffee und Keksen haben wir uns lange über alles Mögliche. Es war ein schöner Abschluss für einen außergewöhnlichen und fantastischen Urlaub.
Es war noch dunkel, als Nataliya mich weckte. meine Rucksäcke waren schon gepackt und
nach dem Frühstück ging’s mit dem Bus zum Flughafen. Nataliya war noch etwas müde, aber ich war schon hellwach und betrachtete den von Berufspendlern und Schülern überfüllten Bus. Wir waren während der ganzen Reise fast nur mit Bussen und Taxen unterwegs. Das war für mich auch schon jedes Mal ein kleines Erlebnis. Ich komm vom Land und fahr eigentlich nie mit dem Bus…und bin gottfroh darüber. Am Flughafen ging dann alles sehr schnell, ich gab mein Gepäck ab und schon musste ich mich von Nataliya verabschieden. Ich dankte ihr für die wundervollen Tage voller Abenteuer und…ach! Man weiß in solchen Momenten nicht was man sagen soll! Es war einfach super! Ich freue mich schon bald wieder Nataliya und all die anderen, Alex, Nataliyas Mutter und Valentin wieder zu besuchen. Ich hoffe auch, dass ich Nataliya und Alexander in Deutschland willkommen heißen kann. Es ist halt ein bisschen blöd mit Visa und auch recht teuer für die beiden.
Der Rückflug war ein Alptraum! Neben mir saß ein Typ, der sich schon während dem Start eine ganze Flasche Martini Bianco hinter die Binde kippte. Er war zwar nicht betrunken, aber er stank dementsprechend. Und für den akustischen Hintergrund sorgten sechs dauerschreiende Kleinkinder, die direkt um mich herum saßen. Dolby Suround! Aber ich behielt die Fassung….gerade noch so! Zu Hause angekommen, feierte ich erst mal mit meinen Eltern meinen Geburtstag nach.
So, das war’s mal wieder. Ich habe mit meiner guten Freundin Nataliya eine fantastische Reise gemacht in einem Land das gerade mal 2500 Kilometer von uns entfernt ist. Ich habe neue, nette Leute kennen gelernt wie Alexander, den Sprachjongleur, oder Mischa, der Typ, der sich nie aus der Ruhe bringen lässt. Oder die beiden Litauer, die es nicht schafften, Mischa aus der Ruhe zu bringen.
Klar hab ich jetzt die vielen schönen Dinge, die ich erlebte, hier niedergeschrieben. Es gibt aber auch nicht so schöne Dinge zu berichten. Dank der blühenden Korruption kommt das Land nicht auf die Beine. Zu spüren bekommen dies natürlich die Menschen, die ohnehin nicht viel haben. Das sieht man auch vielerorts. Die Ukraine hat zudem ihr Müllproblem noch immer nicht im Griff.
Mittlerweile gibt es zwar Flaschenpfand und Ansätze zum Recycling, es hilft aber alles nichts, wenn die Menschen dort größere Sorgen als Mülltrennung plagen. Unter Mülltrennung versteht dort manch einer, dass man sich von seinem Müll dort trennt, wo man gerade steht. Aber einem Vorurteil muss ich hier vehement widersprechen. Alle die ich dort kennen lernte trinken nicht! Auch im Klettercamp trank niemand. Im Alltag torkelt dort nicht jeder durch die Straßen. Und mal ehrlich, schaut euch mal an einem frühen Samstagabend in deutschen Städten um.
Es ist nach wie vor ein Land mit einer atemberaubenden Landschaft und allerorts freundlichen und höflichen Menschen. Egal, wo wir waren, fühlte ich mich sicher und gut aufgehoben. Ich werde dieses Land immer wieder besuchen, es gibt dort viel zu entdecken.
Und eines Tages, ich schwör’s, werde ich es auch mit dem russisch oder ukrainisch hin kriegen. Ich freu mich schon auf das nächste Mal, wenn ich Nataliya, Alexander und Nataliyas Mutter, die immer so leckere Sachen kochte, wieder sehen werde.



Nachtrag vom 18.03.2014:

Eines steht für mich Fest! Trotz neu geschaffener Tatschen werde ich die Überschrift meines Reiseberichtes nicht ändern! Er wird weiterhin UKRAINE Sewastopol heißen. Daran kann auch Wladimir, dieser kleine Bibabuzemann nichts
ändern.
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