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Piz Cengalo – NW-Pfeiler „Gaiser-Lehmann“ (V+, V+ obl., 1050 m), Bergell 24.08.12
#1
„...da steht der Cengalopfeiler zwischen der Bügeleisenkante der Gmelli und der Nordkante des Piz Badile als dritte Granitschneide. Das Bild ist so abweisend wie anziehend. Niemand hat vor zwei Menschengenerationen an die Möglichkeit gedacht diese gewaltigen Urweltkeile zu ersteigen“

„Als die Badener Fred Gaiser und Berthel Lehmann den Pfeiler erstmals begingen, kämpften dicht gegenüber Ricardo Cassin und Kameraden um die große Badilewand – wobei zwei Italiener sterben mussten.“


aus: Walter Pause - im extremen Fels.


Der Cengalopfeiler ist eine der ganz großen Klettertouren im Bergell, mit diversen alpinen Finessen. Der Alpine-Allrounder ist hier gefragt. Gletscher, Randkluft, nasser, sandiger und brüchiger Fels im unteren Teil, grandiose Kletterei am eigentlichen Pfeilerrücken und ein nicht endender Abstieg zurück auf die Nordseite gilt es zu bewältigen. Rein technisch zwar einen ganzen Grad leichter als die
„Cassin“ in der Piz Badile Nordostwand
, welche wir am Vortag geklettert sind, doch was den Gesamtanspruch anbelangt muss die „Gaiser-Lehmann“ als deutlich höher eingestuft werden.

    Piz Cengalo (3370 m) – NW-Pfeiler „Gaiser-Lehmann“
    Piz Cengalo (3370 m) – NW-Pfeiler „Gaiser-Lehmann“
    der Cengalogletscher, gesehen am Vortag

Da wir nach der
„Cassin“
am Vortag über die Badile-Nordkante abgeseilt haben, und relativ zeitig wieder zurück auf der Sasc Furä Hütte waren konnten wir unsere Akkus wieder aufladen. Leider war die Wettervorhersage für den nächsten Tag noch schlechter als für den Cassin-Tag: Regenwahrscheinlichkeit schon am Vormittag. Nach einigen Überlegungen wollten wir die Sache aber trotzdem angehen und einfach versuchen so früh wie möglich auf dem Gipfel des Cengalo zu sein, um wenn möglich nicht auf dem Pfeiler nass zu werden. Insgesamt hatten wir ein gutes Gefühl was die Verhältnisse am Pfeiler und die Steinschlag-Verhältnisse im ersten Teil anbelangt. Während der
„Cassin“
hatten wir ja die Möglichkeit die ganze Sache zu beobachten und es war nahezu den ganzen Tag alles ruhig drüben im Bereich des Cengalo NW-Pfeilers. Also wird es wohl einen Tag später auch nicht viel schlechter sein. Außerdem sah der Gletscherzustieg auch nicht ganz unmöglich aus, auch wenn sie auf der Hütte meinten es ginge wohl nicht mehr.
Etwas anders sah es natürlich auf der Cengalo NO-Seite aus. Der riesige, nicht nur durch die Alpinpresse gegangene,
Bergsturz am Cengalo
zum Jahreswechsel 2011/2012 welcher nahezu das ganze hinterste Bondascatal verwüstet hat und die wohl Touren in diesem Bereich zerstört hat ist erstens deutlich zu sehen und zweitens sind seine Folgen in Form von nachfolgendem Steinschlag ständig zu hören. Nicht nur der Weg zwischen Sasc Furä und Sciora Hütte ist derzeit offiziell gesperrt auch von einer Begehung der Bügeleisenkante wurde dringenst abgeraten, wegen erheblicher Steinschlaggefahr im Einsteigsbereich. Anscheinend wird überlegt den Einstieg dieser häufig begangenen Tour zu verlegen.

    frühmorgens am Beginn des Cengalogletscher

Wie schon am Vortag hat es in der Nacht wieder massiv geregnet. Gegen 04:30 marschieren wir los, Über das Viäl geht es zu den Resten des Cengalogletscher, welchen wir gegen 06:00 Uhr noch im stockfinsteren erreichen. Das Wetter zeigte sich auch noch eher beleidigt und schickte schon am frühen morgen kleine Gewitterzellen mit etwas Donner und Blitz. Zum Glück ist aber alles schön nach Westen in Richtung Sciora-Hütte abgezogen. Der Gletscher war natürlich um diese Jahreszeit (Ende August) schon deutlich zerrissen und der Weg bestand aus einigem Auf und Ab.

    auf dem Cengalogletscher, den Pfeiler in Sicht
    auf dem Cengalogletscher
    auf dem Cengalogletscher

Das eigentliche Problem sollte aber die Randkluft sein. Nahezu auf der ganzen zum losklettern in Frage kommenden Wandbreite, klaffte eine gewaltige Kluft von 20-30 m tiefe und 10 m breite zwischen Gletscher und Fels. So wäre es nahezu unmöglich gewesen, die angenehmen Startpunkte drüben am Fels zu erreichen. Die alleinige Möglichkeit ohne Abseilaktionen rüber zu kommen Bestand aus einer einzigen kleinen, etwas fragwürdigen Schneebrücke etwas weiter oben Richtung Couloir. Soweit so gut, dies hatte aber den kleinen Nachteil, auf der Schneebrücke stehend das Schuhwerk wechseln und gleich im obersten V. Grad, über nasse Platte etwas heikel wegklettern zu müssen. Eine andere Möglichkeit gab es aber eben nicht. Kurz vor 07:00 Uhr klettern wir los.

    auf der einzig vorhandenen Schneebrücke
    heikler Start im Fels
    heikler Start im Fels

Dem Ruf von unangenehmem Gelände im unteren Teil wird der Cengalopfeiler leider total gerecht. Über sandige, brüchige, moosige, grasdurchsetzte und in unserem Falle noch total nasse Felspassagen geht es zunächst eher planlos empor. So recht zuordnen zu einer Beschreibung oder dem Topoguide-Topo können wir das Gelände noch nicht. Wir müssen zunächst dem Gefühl folgen. Nach einigen Rampen folgt der Teil mit nahezu Gehgelände (120 m II-III) und dem „brüchigen Aufschwung“. Von da an sollte die Routenfindung mit etwas Gefühl und Erfahrung in solchem Gelände keine Probleme mehr darstellen. Alle weiteren Angaben zu den Seillängen beziehen sich auf das gute Topoguide Topo:

    auf einer der nach rechts ziehenden Rampen
    Sch...gelände im unteren Teil
    Sch...gelände im unteren Teil – 5. SL (IV-, 50 m) - brüchiger Aufschwung

Nun können wir auch endlich etwas Tempo aufnehmen und am langen Seil klettern. Denn das Wetter hatte sich zwar, nach einigen Regentropfen in den ersten Seillängen, etwas gebessert, doch so ganz koscher war es noch langer nicht. Florian rennt durch die Seillängen 5-7 bis auf die markante große geneigte Platte.

    Am Stand auf der markanten großen geneigten Platte

Vom Stand auf der markanten großen geneigten Platte unbedingt nach links um die Kante in die folgende steile und anstrengende Verschneidung klettern.

    9. SL (V+, 45 m) – Florian am Ausstieg der steilen Verschneidung.

Es lief nun sehr gut und die Seillängen am langen Seil ließen sich zügig abspulen. Die Schwierigkeiten sind nie anhaltend und Kletterei ist richtig toll:

    10. SL (V-, 45 m) – toller Hangelriss
    13. und 14. SL (V- und V+) – sichelförmige Rissverschneidung
    14. SL (V+) – Florian an der vorstehenden Felsplatte
   
    15. bis 17. Seillänge
    geniale Kletterei am markanten plattigen Pfeilerrücken
    geniale Kletterei am markanten plattigen Pfeilerrücken
    geniale Kletterei am markanten plattigen Pfeilerrücken

Irgendwann haben wir nicht mehr versucht das Topo genau zu verfolgen, denn es gibt am markanten plattigen Pfeilerrücken des Cengalopfeiler mehrere Möglichkeiten mit wahrscheinlich ähnlichen Schwierigkeiten. Wenn Nebel und Wolken es zu ließen gab es beeindruckende Blicke in die Piz Badile NO-Wand.

    Piz Badile NO-Wand.
    die tolle Kletterei geht weiter
    die tolle Kletterei geht weiter
   
   
   
   
   

Nach gut 5 h 45 min Kletterzeit haben wir kurz vor 13:00 Uhr das leichte Gelände oberhalb eines letzten Steilaufschwunges erreicht und stehen bald auf dem Geröllband welches nach rechts zum Gipfel und zum Abstieg leitet. Bis zum Gipfel zieht es sich aber nochmal fast 30 min hin. Das Gipfelbuch ist leider nur noch ein feuchter Papierkneuel. Das Wetter hat bisher erfreulicherweise gehalten und es ist zu mindestens trocken geblieben, auch wenn wir nicht allzu viel gesehen haben.

    am Ende der Schwierigkeiten
    am Ende der Schwierigkeiten
    Aufstieg zum Gipfel
    am Gipfel des Piz Cengalo (3370 m)
    am Gipfel des Piz Cengalo (3370 m)
    am Gipfel des Piz Cengalo (3370 m)

Vom ehemaligen großen Firnfeld unterhalb des Gipfels ist inzwischen auch nicht mehr viel übrig geblieben. Der Abstieg vom Piz Cengalo (3370 m) über den Normalweg ist relativ einfach und auch gut zu finden, da ausreichend mit Steinmännern markiert. Lediglich um die richtige Scharte „Colle Cengalo“ zu finden, welche den richtigen Weiterweg nach Süden vermittelt, ist etwas Aufmerksamkeit angesagt. Der richtige Colle liegt etwas versteckt hinter einem Turm (Ketten).

    die letzten Reste des ehemaligen großen Firnfeldes unterhalb des Gipfels
    im Abstieg kurz vor dem „Colle Cengalo“, zwischen Badile und Cengalo

Da es erst früher Nachmittag war, haben wir uns noch für den Ewigkeitsmarsch zurück zur Sasc Furä Hütte entscheiden. Zur Gianettihütte sind wir erst gar nicht ganz abgestiegen, sondern sind gleich hinter dem Dente della Vecchia durch und danach hinauf zum Passo Porcellizzo. Vom angeblich landschaftlich so schönen Weg haben wir leider nicht allzu viel gesehen und es verkommt zum monotonen Marsch, bei dem wir irgendwann auf den „Gleichgültigkeitsmodus“ umschalten müssen.

    hinterm Dente della Vecchia ging es durch
    Piz Cengalo (3370 m)
    Piz Badile (3305 m)
    im Aufstieg zum Passo Porcellizzo (2961 m)
    Corderagletscher zwischen Passo Porcellizzo und Trubinasca
    Latsch...Latsch
    Bivacco Pedroni
    Latsch...Latsch
    unterhalb des Passo Trubinasca (2701 m)
    noch ist die Sasc Furä weit, weit weg

Kurz nach 19:00 Uhr waren wir wieder auf der Hütte und die äußerst nette Hüttenwirtin konnte es nicht recht glauben und versorgte uns gleichmal mit Kuchen.

    14,5 h nach dem Aufbruch wieder an der Sasc Furä Hütte

Die Sasc Furä Hütte (1904 m) war inzwischen aufgrund des Wetters nahezu völlig leer. Lediglich zwei ältere Herren mit ihren Frauen saßen in der Hütte. Das Besondere an der Sache: Die zwei Deutschen feierten ihr „50 jähriges Cassin-Jubiläum“. Unter etwas dramatischen Umständen mit Steinschlagverletzungen und Biwak sind sie im August 1962 die „Cassin“ am Piz Badile geklettert. Die Hüttenwirtin hatte extra einen Kuchen gebacken. Voller Stolz haben sie uns einige Bilder von damals gezeigt und es war für sie das Größte, mit uns, zwei junge Bergsteiger in ihrem damaligen Alter zu treffen, die am Vortag die Cassin geklettert sind. Die Einladung zu Kuchen, Essen und Wein konnten wir natürlich nicht ablehnen und so machten wir uns erst gegen 20:30 Uhr an den weiteren Abstieg, mit inzwischen brennenden Fußsohlen, nach Laret zum Parkplatz (ca. 1300 m) im Val Bondasca. Die Heimfahrt noch in der selben Nacht zog sich gefühlt ewig in die Länge, mit viel Cola und einigen Fahrerwechseln war die Heimat nach einem fast 24 stündigem Schindertag irgendwann mitten in der Nacht erreicht.

    zurück am Auto in Laret gegen 21:30 Uhr

Piz Cengalo (3370 m) – NW-Pfeiler „Gaiser-Lehmann“:
- EB: Fred Gaiser und Berthel Lehmann 15.07.1937
- Schwierigkeit: V+ (mehrere Passagen), vielfach V- und V, teilweise auch leichter
- Felsqualität: unterer Teil: Brüchig, sandig, grasig, nass. Alles eher von der unangenehmen Sorte
oberer Teil: nahezu überall grandioser Bergellgranit. Geniale Kletterei an Schuppen und Rissen.
- Absicherung: Im unteren Teil, nahezu kein fixes Material vorhanden. Danach zumindest die meisten Standplätze eingerichtete. Zwischensicherung an wenigen Normalhaken. Mit Cams und Keilen aber problemlos und überall zusätzlich absicherbar.
- Pfeilerlänge: ca. 1050 m
- Kletterzeit: 6-8 h


Materialempfehlung:
- 60 m Doppelseil
- 10 Exen (einige davon lang)
- 8-10 Bandschlingen
- 1 Satz Keile
- 1 Satz Cams: 0.3 bis 3
- das sonstige, übliche Stand- und Abseilmaterial


Kletterführer / Topos:

Topoguide, Band 1
1.Auflage 2005
Nicole Luzar, Volker Roth

Nicht als Granit
1.Auflage 2007
Mario Sertori, Guido Lisignoli
(so ein Topo überhaupt abzudrucken gleicht ja fast schon an Papierverschwendung!)
Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann man diesen Führer, bis auf die guten Wandbilder, total vergessen. Will jetzt ja hier keine Vorurteile loswerden, aber DASS ist leider ein typischer Italiener-Führer!

Gebietsführer Bergell
Bergverlag Rother
Paul Nigg

Im extremen Fels
2. Auflage 1977
Walter Pause, Jürgen Winkler



AV-Karten:
1:25000: SAC Karte, 1296, Sciora


Viele Grüße
Florian und Tobias
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