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Normale Version: Cho Oyu (8201 m) - 2015 - "der unerfüllte Traum" oder "Höhere Gewalt"
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Cho Oyu (8201 m) - 2015 - "der unerfüllte Traum" oder "Höhere Gewalt"


Liebend gerne hätte ich an dieser Stelle einen ganz anderen Expeditionsbericht geschrieben! Alles hätte so schön sein können und der Traum eines 8000er war in reale Nähe gerückt. Mein Expeditionsziel fürs Frühjahr 2015 war der Cho Oyu, „die Göttin des Türkis“, von der tibetischen Seite. Mit seinen 8201m, ist der Cho Oyu der 6. höchste Berg der Erde. Doch manchmal geschehen unvorhersehbare, ja unvorstellbare Dinge auf dieser Welt und die so genante „Höhere Gewalt“ schlägt unerbittlich zu. Das gewaltige Jahrhunderterdbeben in Nepal vom 25.04.2015 (Stärke 7,8 auf der Richterskala) und seine Nachbeben stürzte ein sowieso schon sehr armes, hilfsbedürftiges Land radikal in den Katastrophenzustand und beendete bei mir, sowie jeglichen weiteren Himalaya Bergsteigern im Frühjahr 2015, abrupt alle 8000er Ambitionen.

[attachment=11256] Cho Oyu (8201m)

Die Entscheidung ob es ethisch vertretbar ist in Anbetracht der Katastrophe in Nepal mit tausenden Toten, abertausenden Obdachlosen und teilweise ganzen ausgelöschten Ortschaften die Expedition fortzusetzen oder nicht wurde uns auf der tibetischen Seite des Himalaya von offizieller staatlicher Seite abgenommen. Auf der nepalesischen Seite waren es verständlicherweise die Sherpas, welche die Expeditionen beendeten bei uns in Tibet die Behörden. Wenige Tage nach dem Erdbeben wurden wir darüber informiert, dass sämtliche Berge in Tibet durch die chinesischen Behörden mit sofortiger Wirkung gesperrt werden und alle Bergsteiger/Touristen bis zu einem festgesetzten Datum Tibet umgehend zu verlassen haben. Das war ein schwerer Schlag! Der Traum eines 8000er war ausgeträumt, geplatzt, ja löste sich in Sekundenschnelle in Luft auf. Nun ist das natürlich nicht ein Tourenabbruch wie jeder andere bei uns in den Alpen. Es steckt einfach zuviel hinter so einer Expedition. Die aufgebrachte Zeit, das viele viele Geld, die in das Projekt gesteckte Motivation, das Training den Winter über usw.… So verbrachte ich auch den Winter fast ausschließlich damit die Kondition weiter auszubauen und fand mich überwiegend auf Allgäuer Skipisten und Skitouren wieder um ordentlich Höhenmeter zu machen. So blieb die alpine Winterleidenschaft des Eis- und Mixedklettern im Winter 14/15 bei mir ziemlich auf der Strecke. Jürgen kann ein Lied davon singen;-). Lediglich zweimal ging was zusammen (
1
,
2
). So kam ich wenigstens nicht ganz aus der Übung.


Anreise und Akklimatisierung:

Die Expedition begann am Ostermontag, den 06.04.2015, mit den Etihad Airways Flügen von Frankfurt über Abu Dhabi nach Kathmandu. Da war die Welt noch in Ordnung, wenn auch nicht die politische. Gerade an unserem Ankunftstag begann ein 3 tägiger Generalstreik. Die maoistisch kommunistische Partei Nepals wollte mal wieder das ganze Land lahm legen. Alles sah also nach einem verlängerten Kathmandu Aufenthalt aus. Doch bereits am 1. Streiktag wurde die ganze Aktion wegen mangelndem Interesse wieder abgesagt. Auch nicht schlecht!

[attachment=11257] Kathmandu (Stupa Bodnath) – noch ist die Welt in Ordnung
[attachment=11258] Kathmandu – noch ist die Welt in Ordnung
[attachment=11259] Gepäck im Hotel zur Abreise bereit

So starteten wir planmäßig bereits am 09.04.2015 mit dem Kleinbus in Richtung tibetisch chinesischer Grenze. Wir übernachteten kurz vor dem nepalesischen Grenzort Kodari (1663m). Von Kodari ging es am nächsten Tag über die „Friedensbrücke“ und somit über die Grenze. Was die Chinesen an dieser Grenze für einen Zirkus veranstalten ist schon der Hammer. Alles wird kontrolliert, gescannt, durchsucht, desinfiziert usw. Gut wir waren in diesem Jahr die erste westliche Expedition, welche die Grenze überschritten hat und somit waren die Grenzer noch nicht abgestumpft, doch manche Flughafenkontrolle ist hiergegen ein Witz. Dutzende weitere Expeditionen, vor allem an den Everest, sollten in den nächsten Tagen folgen. Nachdem hochmodernen Grenzgebäude ging es weiter steil bergauf in den chinesischen Grenzort Zhangmu (2350m). Von Zhangmu ging es bei uns noch am selben Tag weiter bis Nyalam (3750m). Ich schreibe diese Anreise hier deshalb etwas ausführlicher, denn in dieser Form wird die Anreise auf die tibetische Seite des Himalayas eventuell nicht mehr so schnell stattfinden. Durch das große Erdbeben vom 25.04.2015 wurden die Grenzstraße und die Orte Kodari und Zhangmu schwer getroffen. Wie es hier weitergeht war zum Zeitpunkt unserer Abreise noch völlig unklar. Jedenfalls wurden die Orte komplett evakuiert und man hörte Gerüchte die Straße sei möglicherweise bis zu 5 Jahre unpassierbar! Zukünftig kann man eventuelle über das Langtang-Gebirge oder eben gleich besser von Norden, von Lhasa aus anreisen. Über Lhasa erfolgte dann gut drei Wochen später auch unsere vorzeitige und unplanmäßige Abreise, doch hierzu später mehr.

[attachment=11260] Blick auf die Orte Kodari und Zhangmu vor dem Erdbeben während unserer Anreise.
[attachment=11261] Kodari – noch ist die Welt in Ordnung
[attachment=11262] über die Grenze wird das Gepäck von Einheimischen getragen. Überwiegend Frauen die sich schier unglaubliche Lasten aufladen
[attachment=11263] eine der Gasflaschen wiegt ca. 30 kg!!!

In Nyalam (3750m) verbrachten wir zur Akklimatisierung drei Nächte und erwanderten gemütlich die Umgebung rechts und links des Ortes. Nun gut Nyalam ist jetzt nicht unbedingt THE PLACE TO BE, doch zur Akklimatisierung taugt es ganz gut und es gibt vor allem Lhasa-Bier;-). Das Beste jedoch ist das die CTMA (Chinese Tibetan Mountaineering Association), bei denen wir quasi für viel Geld unsere Gipfelpermits gekauft haben, zu jedem Essen auch ein Getränk zahlt. Zur Auswahl steht eine Coca Cola Dose oder eben eine Flasche Lhasa Bier. Soweit so gut. Die Cola Dose hat 0,33L, die Flasche Bier 0,66 L(!). Was wird man da also wohl trinken…??? Dieses Prinzip haben übrigens nicht nur die mehrheitlich schwäbischen Expeditionsteilnehmer unserer Gruppe angewendet. Nur das, dass mal gesagt ist…;-) Ansonsten wurde Nyalam in diesen Tagen zum Tummelplatz hunderter Expeditionisten an den Mount Everest, den Cho Oyu und die Shisha Pangma. Insbesondere bei mancher Everestgruppe musste man sich allerdings schon fragen was da alles so für Leute dabei sind. Dagegen sind auch einige bekannte deutschsprachige Alpinisten, wie Ralf Dujmovits, David Göttler, Luis Stitzinger, Alix von Melle und der blinde Andy Holzer vor Ort.

[attachment=11264] Akklimatisierungswanderungen in der Umgebung von Nyalam
[attachment=11265] Akklimatisierungswanderungen in der Umgebung von Nyalam
[attachment=11266] hier wären Figl super besser gewesen – Bergschuhe taten es zu Not auch
[attachment=11267] Akklimatisierungswanderungen in der Umgebung von Nyalam

Schon in Nyalam und seiner Umgebung zeigte sich, wie fast überall im Himalaya in diesem Frühjahr, die für die Jahreszeitzeit noch sehr hohe Schneelage. Über den noch völlig verschneiten Lalung La Pass (5050m) ging es weiter nach Tingri (4340 m). Der Ort Tingri liegt nun schon richtig nördlich des Himalaya Hauptkamm auf den unendlichen Weiten des tibetischen Hochlandes und beim Blick nach Süden liegen Mount Everest und Cho Oyu „direkt“ vor einem. Naja, gute Sicht vorausgesetzt, was wir an dem Tag leider nicht hatten. Das alte Tingri, etwas abseits der Hauptstraße, ist im Gegensatz zum größtenteils chinesisch hochgezogenen Ortsteil an der Hauptstraße, ein typisch tibetischer Ort wie man sich ihn vorstellt. Übrigens gab es auch in Tingri noch Lhasa Bier und die zahlende CTMA… ;-)

[attachment=11268] Überfahrt über den Lalung La Pass (5050m)
[attachment=11269] das alte Tingri (4340m - ein typisch tibetisches Dorf
[attachment=11270] das alte Tingri (4340m - ein typisch tibetisches Dorf
[attachment=11271] das waren nicht wir…

Am 14.04.2015 kommen wir dem Berg endlich richtig näher. Von Tingri fahren wir ins Fahrerlager, auch Chinese Base Camp (CBC, 4900m) genannt und ich war schon so gespannt darauf den Cho Oyu endlich zum ersten Mal so richtig in live zu sehen. Ein schöner Moment. Zudem ist es einfach auch ein schöner Berg, dieser Cho Oyu. Seit ein paar Jahren haben die Chinesen im Tal Militärstationen aufgebaut und das CBC wurde im Vergleich zum früheren CBC um ca. 4 km talauswärts verlegt. Zufällig direkt an den Fuße einer Militärstation, damit sie auch schön alles im Blick haben.

[attachment=11272] der Cho Oyu (8201m) über dem Fahrerlager (CBC)
[attachment=11273] im Fahrerlager (CBC, 4900m)
[attachment=11274] Wanderungen vom Fahrerlager (CBC) aus


Weg ins Basislager (ABC):

Vom CBC (4900m) sind es zwei Etappen bis zum eigentlichen Basislager, dem ABC (gesamt ca. 22 km). Die erste Etappe bis zum Middle Camp (5380m) ist nun eben etwas länger geworden. Doch im CBC hingen wir leider erst mal längere Zeit fest. Es lag noch sehr viel Schnee und die Yaks konnten nicht ins ABC (5700m) aufsteigen. Vielleicht wollten aber auch die Yak Treiber nur noch nicht. Warten war angesagt, tagelanges warten. Doch um wenigstens in der Akklimatisierung voran zu kommen haben wir von der Amical Gruppe das Middle Camp wie eine Art Hochlager angegangen, um dort auf knapp 5380m schon mal geschlafen zu haben und dort einen Tag verbracht zu haben. Dem Engagement unseres Expeditionsleiters Thomas Lämmle war es dann zu verdanken, dass anderntags das eigentliche ABC von zwei Personen spurend erreicht wurde und somit der Weg ins ABC wenigstens schon mal zu Fuß eröffnet war. So konnten der „License Officer“ (LO) und vor allem die Yak Treiber überzeugt werden, dass es möglich ist und nun endlich zu starten. So erreichten wir ein paar Tage später am 22.04.2015 als erste Expedition mit einem großen Tross von 69 Yaks, 10 Teilnehmern, 1 Leiter, 3 Sherpas, 1 Koch und 2 Küchenhelfer endlich das ABC (5700m). Knapp eine Woche später wie geplant!

[attachment=11275] Aufstieg ins Middle Camp (5380m)
[attachment=11276] die Ebene unseres Middle Camp (5380m) und Blick auf Cho Oyu
[attachment=11277] mein Zeltkamerad Micha aus Stuttgart
[attachment=11278] unsere Dutzenden Yaks auf dem Weg ins ABC

Noch eine Anekdote zu den Yaks, ihren Treibern und unseren Sherpas: Es ist höchst interessant wie der Handel mit den Yaks (als Tragetiere) so abläuft, wer in dem lukrativen Geschäft alles die Finger drin hat, wer wem misstraut und vor allem wer hier wen, wie über den Tisch zieht! Die Dummen sind jedenfalls immer erst einmal die Expeditionen, denn die müssen zahlen, fett zahlen, und zwar ca. 200-250 US Dollar pro Yak bei ca. 40 kg Tragelast!!! Der Rest ist dann eine Art Black Box zwischen den Yak-Treibern, den Sherpas und natürlich am allermeisten dem „License Officer“ (LO). Denn natürlich kann ein Yak weit mehr tragen wie 40 kg, die einen Schleusen am Tag vorher schon Material am LO vorbei um das Gesamtgewicht beim offiziellen Wiegen runter zu drücken und machen einen Extra-Deal mit den Yak-Treibern, die Yak Treiber kommen zunächst mit dem LKW daher anstatt mit Yaks und versuchen vergeblich durch die Schneemassen zum Mittel Camp zu kommen…

[attachment=11279] die LKW Aktion der „Yak Treiber“
[attachment=11280] die LKW Aktion der „Yak Treiber“

Aber nun zur eigentlichen Anekdote. Wir alle mehr oder weniger fröhlich im Aufstieg zum ABC. Die Leute und die Sherpas in dem Moment ca. 50 Höhenmeter voraus, die Yaks und ihre Treiber hinterher. Doch plötzlich ca. 1,5 h vor dem ABC lautes Geschrei des Chef-Yak-Treibers, wild gestikulierend wirft er Steine durch die Gegend, wirft sich auf seinen Hintern und will mitteilen sie gehen nicht mehr weiter und laden jetzt die Tiere ab. Ist es der Schnee? Kommen die Yaks nicht mehr weiter? Es folgt ein lautes Wordgefecht, zwischen unseren nepalesischen Sherpas und den tibetischen Yak-Treibern. Man muss wissen, dass die meisten Sherpas aufgrund ihrer ganz ursprünglichen Herkunft noch tibetisch sprechen. Die Sherpas sind jedenfalls bedacht das wir als Expeditionsgruppe nicht stehen bleiben, denn solange wir weitersteigen würden sich die Yak-Treiber nicht trauen einfach die ganze Ausrüstung frühzeitig abzuladen. So kommt es zur Aussprache und die Yak-Treiber kommen die 50 Höhenmeter zu uns herauf. Wieder wildes Geschrei. Doch plötzlich ist es still. Ein paar hundert Dollar (!) wechseln den Besitzer und alles scheint geklärt. Also doch nicht der Schnee und die armen Yaks sondern die Tibeter wissen hier scheint´s auch ganz gut wie man zu Geld kommen kann. Aber keine Minute später wieder laute Diskussionen. Nun kommt der Einwand, wer zahlt wenn wegen des vielen Schnees, den man ja nicht leugnen kann, sich doch ein Yak verletzt oder abstürzt. Unglaublich, tatsächlich hat einer der beteiligten Sherpas eine 10.000 Dollar Yak-Versicherung in petto. Zum Glück, denn Hallo, wer hat schon so eine Versicherung! Nachdem das also geklärt war steigen die Yak-Treiber zu ihren Tieren ab und alles setzt sich wieder in Bewegung. Allerdings beobachten die Sherpas das Tun der Yak-Treiber nun äußerst genau, denn wer kann schon wissen ob unter diesen Gegebenheiten ein altes Yak nicht auch absichtlich über den Jordan geschickt wird. Das Fleisch nämlich dürfen auf jeden Fall die Treiber behalten plus die Versicherungsprämie pro Yak … ein somit nicht allzu schlechtes Geschäft. Letztlich kommt aber alles gut an auch wenn es im ABC nochmal kurz Stress gibt und (warum auch immer) eine weitere „Nachzahlung“ nötig ist. Doch nun sind wir endlich im ABC und es kann richtig losgehen.

[attachment=11281] die Yaks marschieren wieder
[attachment=11282] die Yaks marschieren wieder
[attachment=11283] nochmal kurzer Stress im ABC mit den Yak Treibern


Basislager (ABC) und etwas darüber:

Doch zunächst mal galt es 1,5 Tage lang das ABC aufzubauen, bzw. erstmal auszugraben. Die Schneelage war noch extrem hoch und alle Zeltplattformen mussten freigelegt werden. An sich ja nicht schlimm, doch von den anscheinend sonst üblichen „Easy-Living“ Verhältnissen im Cho Oyu Basislager mit beispielsweise viel Sonne auf warmen Felsen und schuttigen Zeltterrassen war man im Frühjahr 2015 weit entfernt. Oft soll es gar möglich sein bis ins Lager 1 (6400m) gemütlich ohne Schnee mit leichten Bergschuhen oder gar Zustiegsschuhen zu kommen. Dieses Jahr völlig unmöglich. Auch die Temperaturen waren noch sehr kalt und nächtliche -14°C waren keine Seltenheit. Im Zelt versteht sich. Unser Chef Sherpa war schon über 20 Mal am Cho Oyu und er meinte nur, mit so viel Schnee im ABC und so kalt habe er den Cho Oyu noch nie erlebt. Paradoxerweise sah die Gipfeletappe, im Vergleich zu anderen Jahren weit felsiger und weniger verschneit aus. Schaut sonst oftmals nur das „Gelbe Band“ aus der weißen Gipfelflanke heraus, sah es dieses Jahr etwas anders aus. Auf dem folgenden Bild lässt sich auch gut erkennen woher das „Gelbe Band“ so seinen Namen hat. Vermutlich sind in diesen Höhen die Winde viel entscheidender wie die Schneemengen.

[attachment=11284] die im Frühjahr 2015 apere Gipfelflanke und das deutlich zu erkennende „Gelbe Band“
[attachment=11285] Aufbauarbeiten im ABC (5700m)
[attachment=11286] unser ABC (5700m) in voller Pracht

Bereits am nächsten Tag, nachdem das Basislager aufgebaut war, starten wir zum ersten Mal auf den Gyabrag Gletscher und legen ein Materialdepot auf dem Weg zu Lager 1 an. Ich bin motiviert und freue mich, dass es endlich weitergeht. In der Nacht hatte es (mal wieder) etwas geschneit und so liegen die Landschaft, der Cho Oyu und der Gletscher wunderschön vor uns und wir marschieren an den bizarren Eistürmen des Gyabrag Gletscher entlang nach hinten.

[attachment=11287] die tollen Eistürme des Gyabrag Gletscher
[attachment=11288]


Erdbeben:

Doch es kam der schicksalshafte 25. April 2015. Das Jahrhunderterdbeben von Nepal. Fast genau gegen 12:00 Uhr Mittags nepalesischer Ortszeit bebte die Erde gewaltig. Es schneite leicht und herrschte starker Nebel, alles war tief grau, alles in allem ein düsterer Tag. Das Epizentrum lag rund 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kathmandu und das Erdbeben hatte eine Stärke von 7,8 auf der Richterskala. Die Erdstöße gingen ca. 15-20 Sekunden lang. Der Großteil unserer Gruppe befand sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zum Materialdepot. Ich selbst (erneut von einem Durchfallinfekt geplagt) befand mich mit zwei weiteren von anderen Infekten geplagten im Basislager. Es bebte enorm und auch wenn ich noch nie zuvor ein Erdbeben miterlebt habe war mir in Sekunden schnelle klar: Erdbeben, starkes Erdbeben. Also raus aus dem Zelt, denn die ersten Gedanken galten dem Eiswulst und dem Schneehang direkt oberhalb unseres Basislagers. An sich eigentlich beide nicht allzu dramatisch doch unter diesen Umständen bei so einem Erdbeben weiß man ja nie, zumal wenige Sekunden nach den Erdstößen sofort die Lawinen anfingen zu Grollen. Zum Glück aber nicht von oberhalb unseres Basislagers! Wo genau überall ließ sich aufgrund des starken Nebels nicht lokalisieren. Der zweite Gedanke galt dem Rest der Gruppe am Berg. Ich rannte ins Küchenzelt zum deponierten Funkgerät und wenige Sekunden später bestand Funkkontakt zu Thomas unserem Leiter. Wie im Basislager, glücklicherweise auch bei ihnen alles Gut, auch wenn bei ihnen einige Lawinen rechts und links von den Berghängen kamen.

Die folgenden Tage waren geprägt von großer Unsicherheit, und Ungewissheit wie es hier überhaupt weitergeht. Insbesondere nach dem eines der vielen Nachbeben (Stärke 6,7 auf der Richterskala!!!) 25h später auch bei uns im ABC wieder deutlich zu spüren war herrschte bei allen Beteiligten zu spürende große Unsicherheit. Während diesem Nachbeben knieten sich unsere Sherpas und die beiden tibetischen Küchenhelfer auf den Boden und beteten. Für die beiden Küchenhelfer war das zu viel, am nächsten Morgen waren sie nach einer Nacht und Nebelaktion verschwunden und sind abgestiegen. Vom LO wurde zunächst mal ein 2-tägiges „Bewegungsverbot“ ausgesprochen. Insgesamt war die Informationslage, was das Ausmaß der Katastrophe im benachbarten Nepal anbelangt, eher dünn. Zudem wurde bald nach dem Beben das Inmarsat-Satellitensystem (unsere Email-Kommunikations-System) für zivile Zwecke komplett gesperrt. Es diente in der Folge Zeit vermutlich zur Koordinierung der Katastrophenhilfe in Nepal, denn dort waren das Festnetz und das Mobilfunknetz größtenteils zusammengebrochen. Für unsere drei Sherpas und unseren Koch waren das Tage in ständiger Ungewissheit wie es ihren Familien, Angehörigen und Häusern geht. Teilweise hatten sie erst nach 5 Tagen telefonischen Kontakt mit ihren Angehörigen. Bei uns dagegen ist das Satellitentelefon heiß gelaufen. Unsere Angehörigen wussten durch die Berichterstattung in Deutschland über die Katastrophe und das Ausmaß weit mehr wie wir und waren verständlicherweise schwer besorgt.


Expeditionsabbruch:

Das endgültige Aus der Expedition kam am 28.04.2015. Der „License Officer“ (LO) kam mit einem Regierungsvertreter vom CBC ins ABC aufgestiegen und es gab ein großes Meeting mit allen Expeditionsleitern. Noch während dieses Meetings wurde die offizielle und sofortgültige Sperrung aller Berge in Tibet seitens der chinesischen Behörden bekanntgegeben. Zwei Tage später sollen die Yaks für alle 8-10 inzwischen am Berg befindlichen Expeditionsgruppen (Gruppengrößen von 3 bis 18) kommen und das Basislager auf einmal geräumt werden.

Unser stattliches Materialdepot auf dem Weg zu Lager 1 wollten wir aber natürlich keinesfalls aufgeben und so machte sich ein Teil der Gruppe am nächsten Tag, also quasi illegal, auf den Weg dorthin um die Sachen runterzuholen. Am Depot unterhalb des so bezeichneten „Killerhang“ angekommen war die Verlockung wenigstens einmal im Lager 1 (6400 m) gewesen zu sein einfach zu groß. So gab es auch bei mir kein Halten mehr und wir steigen zu fünft ins Lager 1 auf. Mir ging es bestens an diesem Tag und da wir inzwischen super akklimatisiert waren, war es für mich ein richtiger Spaziergang. Umso mehr genoss ich diesen Aufstieg in vollen Zügen, da ich während der Akklimatisierungsphase doch auch von Durchfall- und Erkältungsinfekten geplagt war. Das war nun aber überwunden und somit zum Durchstarten bereit…

Vom Lager 1 (6400 m) sieht alles schon verdammt Nahe aus und mit Wehmut blicken wir nach oben. Meinen bisher höchsten Kopfstand konnte ich dort noch machen und es gab viele tolle Blicke auf den Cho Oyu, den weiteren Aufstiegsweg sowie schöne Tiefblicke auf den Gyabrag Gletscher.

[attachment=11289] der Cho Oyu (8201m) über dem Gyabrag Gletscher
[attachment=11290] Aufstieg ins Lager 1
[attachment=11291] Lager 1 (6400m)
[attachment=11292] Abstieg vom Lager 1
[attachment=11293] damit er auch mal im Einsatz war…

Am nächsten Tag (30.04.15) erfolgte der Abstieg mit hängendem Kopf vom ABC ins CBC. Tatsächlich kamen hunderte Yaks herauf und man hatte das Gefühl aus ganz Untertibet wurden die Yaks zusammengetrieben. Das Mittel Camp wurde ausgelassen und es ging an einem Stück die ca. 22km hinaus bis zum Fahrerlager (CBC). Am Abend gab es eine Ansprache, wie es nun weitergeht, eines Regierungsvertreters und eines hohen CTMA Vertreters (ihr wisst ja, die mit den Permits … und dem Bier). Zum einen wurde nun klar, dass alle über Lhasa ausreißen müssen und nicht zurück nach Kathmandu können und zum anderen wurde uns erfreulicherweise mitgeteilt, dass unsere Permits für drei Jahre gültig bleiben. Immerhin sind das für den Cho Oyu alleine 3000 US Dollar.

[attachment=11294] die Yaks kommen…

Im Fahrerlager konnten nun unterschiedliche Herangehensweisen zur Behebung der Enttäuschung beobachtet wurde. Eine Expedition Osteuropäischer Bergsteiger wählte zum Beispiel ganz klassische den Alkohol in großen Mengen zur Frust Bewältigung. So landete auch gleich einer dieser Kameraden beim nächtlichen Aufsuchen des Zeltes nicht im Zelt sondern auf dem Zelt… Bei uns dagegen gab es noch im ABC zur Aufheiterung Schwäbische Kässpätzle, auch wenn unser nepalesischer Koch zunächst etwas skeptisch auf unser Treiben in seiner Küche schaute. Unser Küchenhelfer hat dann im Fahrerlager sogar noch irgendwo Lhasa Bier in Dosen aufgetrieben und so gab es auch bei uns ein Bierchen.

[attachment=11295] unser nepalesischer Koch wurde noch in die Geheimnisse von Kässpätzle eingeweiht
[attachment=11296] unser nepalesischer Koch wurde noch in die Geheimnisse von Kässpätzle eingeweiht
[attachment=11297]


Heimreise über Lhasa:

Von nun an ging alles recht schnell und lief im Prinzip wie am Schnürchen. Am 02.05.2015 starten wir zur zweitägigen Fahrt über Shigatse nach Lhasa. Bis Lhasa wurde alles perfekt von der CTMA organisiert und bezahlt, die Hotels waren richtig nobel und zu den Mahlzeiten gab es die altbekannten Getränkeauswahlmöglichkeiten. Bei der Fahrt über die tibetische Hochebene bekamen wir dann auch noch den Mount Everest zu Gesicht.

[attachment=11298] der Mount Everest (8848m) von Norden
[attachment=11299] Fahrt über die tibetische Hochebene
[attachment=11300] Gebetsfahnen ohne Ende an einem über 5000m hohen Pass auf dem Weg nach Lhasa
[attachment=11301] geht schon noch…
[attachment=11302] über dem Fernseher im „Restaurant“ beim Mittagessen die große Kommunisten Garde: Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao usw…
[attachment=11303] Klosterberg in Shigatse
[attachment=11304] Fahrt über die tibetische Hochebene

Schon immer wollte ich einmal nach Tibet und wenn möglich auch nach Lhasa, die Heilige Stadt der Tibeter. Nun war es soweit. Die Zeiten in denen es Ausländern strengsten verboten war Lhasa oder gar den Potala Palast zu betreten sind längst vorbei. Das Lhasa aus den Büchern von Heinrich Harrer (u.a. Sieben Jahre in Tibet) gibt es so leider nicht mehr. Alles ist stark chinesifiziert. Einen Besuch des beeindruckenden Potala Palast kann ich dennoch nur Empfehlen. Auch wenn inzwischen ganz oben auf dem Palast eine riesige Chinesische Flagge weht…

[attachment=11305] der berühmte Potala-Palast in Lhasa, ehemaliger Sitz des Dalai Lama
[attachment=11306] der Jokhang Palast in Lhasa

Ab Lhasa wurde unsere weitere, nicht einfache, Heimreise gewohnt perfekt von Amical organisiert. Von Lhasa ging es zunächst nach Chengdu (noch nie gehört? Ich auch nicht. Ist aber eine Chinesische 14 Millionen Einwohner Stadt!!! ) und weiter über Abu Dhabi nach Frankfurt. Am 06.05.2015, genau einen Monat nach Aufbruch kommen wir unverrichteter Dinge aber zum Glück Gesund wieder in Deutschland an. Insbesondere nach dem erneut extremen Nachbeben von 12.05.2015 war ich froh nicht mehr vor Ort zu sein. Dieses Nachbeben (7,2 auf der Richterskala!!!) lag in der Region um Namche Bazar und somit wesentlich näher am Cho Oyu wie alle Erdbeben zuvor.

So freute sich nicht nur mein 10 monatiger Sohn über meine frühzeitige Heimkehr aus dem Himalaya und die Rückkehr seines Lieblingsspielplatzes, die große Expeditionstasche. Auch ich freute mich riesig auf unseren direkt anschließenden Familien-Skandinavien-Rundtrip. Nur wir zu dritt durch ganz Schweden in den Hohen Norden Lapplands bis zum Nordkap und über Norwegen wieder in den Süden zurück. Berichte vom Klettern in Südschweden und auf den Lofoten werden genauso folgen wie Berichte von Skitouren in den Lyngenalps, auf Senja und auf den Lofoten.

[attachment=11307]


Viele Grüße
Tobias